Ambient 02 - Heidern
gebracht«, sagte Iz. »Am bestn Lippen zu, wenn sie in der Nähe ist. Ich war auch schon nah dran. Sagte, sie kriegt n Fotzenkitzler wie alle spanischen Mädel.«
»Was ist das schon wieder?«
»Schnurrbart. Kitzelt. Brauchte Monate, um zu lernen, wo man stehn muß, wenn sie hochgeht. Meine Ma und ich sind hier seit vorigem Jahr, als wir auf der Wohnungsliste ganz oben waren. Hart hier, bis Jude kam. Jude's meine beste. Wir Mädels halten zusammen. Dann geht's.«
»Wie alt bist du?« erkundigte ich mich.
»Zwölf. Jude und Weezie sind 14. Und du? 13, 14? Keine 15, oder?«
»Auch zwölf.«
»Dammt. Groß für dein Alter. Haut mich um. Nie ist man sicher.«
Eines der großen, alten Lagerhäuser, an denen wir vorbeikamen, hatte keine Fenster mehr auf der Broadway-Seite. Nur noch ein paar Türen hingen in den Angeln. Die Mauer war mit Dutzenden und Aberdutzenden von Namen in allen Farben bemalt. Iz beobachtete mich und erklärte es mir: »Die Toten. Drogen.«
»So viele?«
»Dritte Schicht, seit ich hier wohne. Hört nie auf. Dort drüben liegt die Grube, eine Querstraße weiter.« Iz zeigte nach Osten.
»Und was ist die Grube?«
»Crack-Zentrale. Nutten. Schlechte Papiere dort für uns. Nie hingehn. Nur, wenn's sein muß.«
An der 137. Straße blieben wir stehen. »Check mal da«, befahl Iz. Etwa zehn Querstraßen weiter oben rauchte es ganz schwarz, fuhren Streifenwagen herum und Löschzüge, alle mit Blaulicht. In den Nachrichten hatte ich nichts über neue Unruhen gehört, also mußte das wohl ganz frisch sein. »Geht ne Woche so«, sagte Iz. »Kehren wir um.« Also wanderten wir den Broadway wieder hinab. Die U-Bahn fuhr wie immer, als ob die Unruhen keinen Unterschied machten.
Auf unserer Straßenseite, aber noch ein Stück weiter oben, steht ein Riesengebäude, ein Sozialblock. Es ist so riesig, daß es die Sicht auf den Himmel und den Fluß mehrere Querstraßen lang versperrt. »Dort wohn ich. 20. Stock«, sagte Iz.
»Ist es schön da?«
»Hübsche Aussicht. Schon in Jersey gewesen?«
»Klar.«
»Der Tag kommt, wo ich nen Bus nehm und rüberfahre. Sehn, wies is.« Iz klang, als wollte sie nach China reisen. »Du warst wohl schon in Europa und überall?«
»Einmal.«
»Wie isses da?«
»Hübsch.«
»Anders als hier?«
»Ja.«
Über eines, Anne, war ich mir immer noch nicht klar: »Warum hast du mich eigentlich angesprochen?«
»Versteh ich nicht.«
Ich wußte keine rechte Erklärung. Was ich meinte, war, warum hat sie überhaupt mit mir gesprochen, wo ich doch so anders bin? Sie hätte mich einfach übersehen können oder verprügeln oder was weiß ich, aber das tat sie nicht. »Weiß auch nicht so genau.«
»Schaust okay aus, das is alles.«
»Ob Jude und Weezie mich auch mögen?«
»Jude schon. Weezie weiß ich nich. Keine Ahnung, ob die mich überhaupt mag. Weezie is Weezie. So ist das« sagte Iz. »Wir sind Death Angels; so nennen wir uns. Alle Banden hier oben haben Namen, Renegades oder Amsterdam Cheeseburgers oder Bad Boys und all die anderen auch.«
»Darf ich bei den Death Angels mitmachen?«
Iz lachte. Und diesmal lachte sie mich aus, aber nicht boshaft. »Wir reden doch mit dir, oder?«
Als wir am McDonalds an der 125. vorbeikamen, sagte Iz, sie gehe jetzt Richtung Osten, um Weezie und Jude zu treffen.
»Willst du noch schnell mit zu mir kommen, damit du siehst, wie wir wohnen?« lud ich sie ein.
»Andermal. Und denk dran, was ich über Weezie sag: Kein Privatschulenmädel. Vertrag dich mit ihr, dann is alles okay. Und kein Zoff mit Jude!«
»Warum?«
»Weils zu spät für dich ist, wenn dus merkst.«
Iz verzog sich, und ich ging heim. Seltsam, Anne, daß die Menschen so verrückt sind. Weezie hat sich zwar komisch benommen, aber nicht durchgedreht gewirkt. Es machte nicht den Eindruck, als könnte sie völlig ausrasten und jemanden umbringen, aber das scheint der Fall zu sein. Gut, daß Iz mir das alles erklärt hat, aber jetzt habe ich ein wenig Angst, daß ich das Falsche sagen könnte, ganz ohne Absicht, und schon kriege ich ein Messer zu spüren. Und auch gut, daß Iz mich mag, auch wenn das bei Weezie und Jude noch nicht so klar ist. Keine Ahnung, ob ich ein Death Angel sein möchte, aber ich glaube schon.
Im Lokalfernsehen haben sie auch heute wieder nichts über die Ausschreitungen gebracht, die doch nur ein paar Querstraßen weiter abgehen. Sie interviewten statt dessen einen Radiomoderator, der verlangte, die Obdachlosen zu töten. Die Fernsehkollegin
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