Ambient 02 - Heidern
und lief Lori nach. Sie war bereits im Französisch-Zimmer, als ich sie fand.
»Lori, warum redest du nicht mit mir?« fragte ich sie. Ich stand direkt vor ihr. Sie starrte nur geradeaus und lächelte. Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie, aber sie tat immer noch so, als sei ich nicht vorhanden. Dann kam Tanya und grüßte Lori, aber nicht mich. Lori sagte darauf »Hallo«, aber nicht mehr. Die erste Glocke läutete, also flüsterte ich ihr nur schnell zu, daß ich später wieder kommen würde und rannte los. Mein nächster Kurs war einen Stock höher. Also konnte ich es bis zum zweiten Klingelzeichen nicht schaffen. Als ich die Tür aufmachte, saßen die anderen schon, und ich wußte, daß ich in der Bredouille war.
Die Dieterle war sauer auf mich und schickte mich aufs Direktorat, um mir von der Sekretärin einen Verspätungszettel ausstellen zu lassen, obwohl ich keine Minute Unterricht verpaßt hatte. Im Büro ließ mich die Sekretärin eine Viertelstunde warten, bis sie mir den Schein ausstellte. Da kam die Cooper aus ihrem Zimmer und sagte zu mir: »Lola, in letzter Zeit benimmst du dich wirklich nicht mehr so, wie wir das von dir gewöhnt sind!« Dabei war das seit einem Jahr das erste Mal, daß ich zu spät in einen Kurs gekommen bin. Aber das scheint keinen zu interessieren. Als ich wieder in den Unterricht zurück durfte, war eine halbe Stunde vergangen, die ich gebraucht habe, um mir einen Verspätungszettel über eine Minute ausstellen zu lassen! Auf dem Weg in den Kursraum dachte ich so bei mir, warum mir das überhaupt etwas ausmachen sollte. Es würde eh keine mit mir reden, wenn ich endlich da wäre. Alle behandeln mich ohnehin wie ein behindertes oder zurückgebliebenes Kind oder so jemanden. Die Schultüren haben innen keinen Verschlußmechanismus, also könnte ich einfach hinaus spazieren. Aber das hieße dann ernste Probleme, also lieber nicht!
Katherine und Ekel-Betsy und Tanya saßen gemeinsam am Mittagstisch und ignorierten mich wie üblich, als ich grüßte. Seit die nicht mehr mit mir reden, sitze ich beim Mittagessen alleine, weil niemand mit mir gesehen werden will, mit dem ich gesehen werden möchte. Jeder Schultag gleicht einer Anklage, Anne, es macht mich rasend. Und einsam. Dabei hatte ich es mir so schön vorgestellt, daß alles gut wird, wenn Lori wieder da ist, aber daraus wird wohl nichts werden. Nach der Schule traf ich sie noch einmal vor der Tür, als sie gerade losgehen wollte. Wieder lief ich hin zu ihr und verstellte ihr den Weg. »Warum redest du nicht mehr mit mir? Ich bin deine beste Freundin!« Einige der anderen Mädchen standen in der Nähe und lachten mich aus. Lori behielt einfach dieses Zombie-Lächeln bei, als sei sie hirntot. Bevor sie an mir vorbei ging, zog sie noch ein Kärtchen aus ihrer Handtasche und gab es mir. Ich rief so laut ich konnte »Lori, Lori« hinter ihr her, aber sie ging unbeirrt weiter die 84. Straße entlang, als würde sie nichts hören. Hätte ich nicht von mir gedacht, Anne, aber ich fing zu heulen an wie ein kleines Baby. Boob war noch nicht heraußen, also mußte ich auf sie warten. Jede, die vorbeiging, zeigte mit Fingern auf mich, als sei ich ein Volltrottel. Ich hätte gerne zu weinen aufgehört, aber ich konnte nicht. Noch niemals in meinem Leben ging es mir so miserabel, Anne. Meine Güte, sind die alle hochnäsig, jede.
Endlich tauchte Boob auf. Sie muß wohl gedacht haben, daß ich furchterregend aussehe, weil sie kein Wort sagte. Und irgend etwas schien sie außerdem zu bedrücken, also waren wir beide ruhig. Wir zuckelten zusammen bis zur Haltestelle an der 86. und warteten auf einen Bus, der wie üblich erst mit Verspätung kam. In der Zeit schaute ich mir die Karte genauer an, die mir Lori gegeben hat. Oben standen Logo und Telefonnummer von Kure-A-Kid, wo sie Lori zombiefiziert haben. Sonst stand nur etwas aus der Bibel drauf, daß wir alle nicht sterben müßten, sondern nur verändert würden.
Es geht mir also fürchterlich, Anne, und ich bin wütend, aber es sind so viele Leute, auf die ich wütend sein muß. Vielleicht sollte ich auch einfach durchdrehen wie so viele. Na ja. Wenigstens habe ich hier im Viertel neue Freunde gefunden. Zumindest Iz.
17. April
Freitag!
In der Schule wird es von Tag zu Tag schlimmer. Heute hat mich die Wisegarver angesprochen, warum ich mich für die Schule nicht mehr zurechtmachen würde, sondern nur noch in Jeans und Khaki-Hemden käme. Ich sagte ihr, wir müßten
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