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Ambient 03 - Ambient

Ambient 03 - Ambient

Titel: Ambient 03 - Ambient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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der Avenue C, wo Enid und ich gewohnt hatten und immer noch wohnten. Vater war nach wenigen Wochen verschwunden; Enid erzog mich, nachdem sie sich selbst erzogen hatte.
    »Ich sprach vom Aufzug«, sagte er.
    Sie nickte. »Ach so. Natürlich.«
    »Ich werde sehen, was zu machen ist«, sagte ich, obwohl ich wußte, daß nichts zu machen war; der Aufzug war in Ordnung.
    »Guter Mann«, sagte Mister Dryden.
    Seit jener Zeit hatten sich alle angepaßt – einige mehr als andere. Es war ganz einfach. Die Regierung diente denjenigen, welche den Kurs des Staatsschiffes überwachten; die Regierung kontrollierte die Wirtschaft, die die Regierung kontrollierte. Kompliziert in der Theorie, war es in der Praxis unfehlbar. Ich vermute, daß die neuen Besitzer sich von den alten nicht sehr unterschieden; Altboß, Neuboß, wie Enid es ausdrückte. Leben und leben lassen, war die Devise; so wurde gedacht, so wurde gehandelt. Von einigen nützlichen Ausnahmen abgesehen, regelten sich die Dinge von selbst; daß dies nicht immer zum Allgemeinwohl ausschlug, erregte unter den Regierungsapparatschiks keine Besorgnis, erbrachte keine Interpretation, rief kein Bedauern hervor und führte zu keiner Entschuldigung. Die Herrschenden machten ihre Taschenspielerkunststücke, wann und wie sie wollten. Es war die Art der Natur.
    »Endlich«, sagte Mister Dryden, als der Aufzug verlangsamte.
    Der amerikanischen Gesellschaft blieben mithin drei Arenen, in denen sich alle tummeln konnten: die der Besitzer und ihrer Diener; die der alten Bourgeois; die der Überflüssigen, wie sie von der Regierung etikettiert wurden. Die letzteren zahlten wie die Besitzer keine Steuern; anders als jene verdienten sie nach vorherrschender Einschätzung jedoch keinen Schutz gegen die Wechselfälle des Lebens. Wenn sie nicht in die Armee eintraten (durch Einberufung oder, im Falle der Frauen, freiwillig), waren die Überflüssigen unterbeschäftigt. Manche waren der Industrie nützlich; die Alten waren der Forschung nützlich. Alle machten Geschäfte auf Kosten derer, die unter ihnen waren; viele kamen zurecht. In Amerika gab es keine Entschuldigung dafür, arm zu sein; es war viel leichter, tot zu sein.
    »Ola, Renaldo«, sagte Mister Dryden.
    Aber deswegen bin ich kein Zyniker; für mich gab es nie ein Land wie Amerika, um darin zu leben.
    Mister Drydens Wartezimmer war eindrucksvoll: in Holzton getäfelt, gegen die öffentliche Vorhalle durch dreizölliges Panzerglas abgeschirmt; die Tür zu dieser Eingangshalle konnte nur vom Empfangsschalter geöffnet werden. Hinter und über diesem hing eine Neonplakette mit dem grinsenden Gesicht. Renaldo war der Empfangschef. Früher einmal war er Mitglied der Sociedad Mariel gewesen, die ursprünglich gegründet worden war, um ihren Mitgliedern zu Arbeit und Brot zu verhelfen; eine Selbsthilfeorganisation, wie sie von der Regierung immer propagiert worden war. Wie in Jimmys Fall hatte sich die Verlockung Drycos als unwiderstehlich erwiesen. Madre war in seine Unterlippe tätowiert; ihr Ebenbild verunzierte seine Handrücken. Er rasierte sich den Schädel, trug einen buschigen Schnurrbart und kleine Ohrringe. Die Metallplatte in seinem Schädel spiegelte das Licht der Deckenlampe; aus manchen Winkeln gesehen, glich sein Kopf einem kostspieligen Küchengerät.
    »Renaldo«, sagte Mister Dryden, »drücken Sie 37H, 26B, 29C, 2T. Empfangen Sie sie! Lassen Sie keinen anderen ein!«
    »Toderecho«, sagte Renaldo.
    Kameras waren auf den Durchgang von der öffentlichen Eingangshalle gerichtet. Auf seinen Monitoren konnte Mister Dryden sehen, wer eintrat, konnte auch durch stillen Alarm Signale geben. Renaldo verwahrte eine Axt unter seinem Tresen, die für ungebetene Ankömmlinge bereitlag.
    Avalon und ich setzten uns auf die dem Aufzug nächste Couch. Ich verlagerte mein Gewicht so, daß es meinem Hüftgelenk keine Schmerzen verursachte. Wir blätterten in unseren Zeitungen: Ich hatte USA People, und sie las die Times. Die ersten drei Besucher trafen ein und verschwanden hinter der Bürotür. Ich las meine Zeitung. VERBRECHENSRATE SINKT VON WOCHE ZU WOCHE, lautete die Schlagzeile; darunter stand in kleinerer Schrift: Fortschritt in Großstädten langsamer. Der einundzwanzigste Jahrestag des Ausbruchs des Russisch-Amerikanischen Krieges sollte dieses Jahr in den Hauptstädten beider Länder vom 4. Juli bis zum 7. November gefeiert werden. Im vergangenen Vierteljahr hatten beide Seiten enorme Gewinne erzielt. Zusätzliche

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