Ambient 04 - Terraplane
immer herein, dem Blues ihren Tribut zu entrichten. In meiner Kindheit hörte ich jeden Tag den Blues. Gut gespielt, schlecht gespielt. Da unten hört man ihn fast in der Luft.« Er lachte. »Deprimierender Scheiß, Luther. Lieber sieben Tage in der Woche Count Basie.«
Jakes mangelnde Aufmerksamkeit für alles bis auf die leere Bühne besorgte mich, aber im Augenblick war es nicht möglich, ihn davon abzubringen. Seine Erwartung schien stärker und noch ausschließlicher als die eines Kindes, das die Weihnachtsbescherung erwartet und bereits weiß, daß sich unter den Geschenken das am meisten begehrte befindet.
»Diese Leute kommen mit ihren Taxis vorgefahren, mit ihren großen schönen Wagen, schlagen sich hier in der Gegend die Nacht um die Ohren, trinken. Haben Sie schon mal Weiße trinken sehen? Ich will Sie nicht beleidigen, Jake …« Jake, taub für seine Worte, war nicht beleidigt. »Sie schütten und schütten, bis die Flasche leer ist. Dann kotzen sie alles über den Boden aus. Aber das ist noch besser, als wenn sie anfangen zu singen.«
»Sind sie textvertraut?«
»Manche von ihnen. Ich kann Ihnen sagen, so etwas Jämmerliches haben Sie nie gehört.«
»Was lockt sie her?«
»Ich kann nicht sagen, wie die Gehirne dieser Leute arbeiten«, sagte er und schob sich barwärts. »Fragen Sie Jake. He, Jess, hierher!« rief er dem Barmann zu. Jess kam herüber, trocknete mit drei schnellen Drehbewegungen seines Lappens einen Bierkrug; seine Hände waren doppelt so groß wie meine, sein Gesicht bedeckt mit einem Netz von Narben, das der Luftaufnahme eines Verschiebebahnhofs ähnelte. Zwischen abgeschlagenen Vorderzähnen hatte er den ausgegangenen Stummel einer grünen Zigarre plattgebissen.
»Ein Sidecar, Doc?« fragte er, nahm ein Glas vom Regal. »Was möchten Ihre Gäste?«
»Geben Sie ihnen Bier. Eine bevorzugte Marke?« Wir bevorzugten nichts, fanden es am besten, seinem Rat zu folgen. »Trommers White Label wird reichen.« Mit einem Metallwerkzeug hob Jess die Kappen von zwei langhalsigen braunen Flaschen, goß eine in ein Glas und fragte Jake dann: »Wollen Sie Ihres in einer Teetasse?« Einer der verbogenen Kronenkorken lag auf der Theke. Jake blickte auf, nahm ihn, legte ihn auf seine Daumen und zwei Finger darauf. Mit schneller Bewegung drückte er das Innere der Metallkappe nach außen, daß die Korkeinlage aufplatzte; dann schnippte er ihn barwärts.
»Ein Glas«, sagte er. Jess schenkte ein.
»Bill schon vorbeigekommen?« fragte Doc.
Jess schüttelte den Kopf, schob Jake das gefüllte Glas behutsam über die Theke. »Sonst ist der Affenarsch immer der erste, der am Samstagabend herkommt. Keine Spur von ihm gesehen. Vielleicht hat seine Mama ihn zum Tempel geschleppt.«
»Vielleicht.« Vielleicht nicht. Die Skelettfinger der hölzernen Wanduhr zeigten zwanzig Uhr vierzig; Doc und das übrige Publikum des Clubs erwarteten, daß der Vorhang um acht aufgehen würde. Die Künstler ließen warten; unsere Minuten wurden zu verlorenen Minuten. Durst brannte in meiner Kehle; ich trank, zuerst mißtrauisch gegen das Bier, dann glücklich, daß ich hatte. Wenn das beste Brot flüssig wäre, dann würde es solch einen Geschmack gehabt haben, süß vom Gerstenmalz, der Schaum dicht genug, um ihn zu zerschneiden; in keiner Weise dem bitteren Wasser unserer Tage ähnlich.
»Haben Sie Robert Johnson früher schon gehört, Jake?« fragte Doc mit einer Geste zur wartenden Bühne. »Er ist kein Cab Calloway. Verstehe nicht, daß er in Ihrer Zeit so bekannt ist.«
»Ist er nicht«, sagte Jake. »Nur die Bewußtesten sehen den Ruhm. Vor langen Jahren füllte ich zuerst das Ohr mit seinem Gesang. An einem Wochenende im alten Haus des Alten Mannes. Diejenigen, die hören, wie sie hören sollten, wissen …« Jake brach ab, fuchtelte mit den Händen vor sich, wie um unsichtbare Beute zu ergreifen. »Es macht es einfacher, irgendwie. Nicht zu erklären.« Er nahm sein Abspielgerät aus der Tasche, stellte es für die Aufnahme ein.
Doc lachte. »Haut mich um, wie Sie manchmal reden. Also, Jake, Sie müssen alles auswendig wissen, was er gebracht hat.«
»Seit Jahren«, sagte Jake, scheinbar erschöpft vom Gefühlsaufwand seiner Rede.
Ein elegant gekleideter Mann trat auf die Bühne und hob mit beschwichtigender Gebärde die Hände.
»Meine Damen und Herren«, sagte er, »es hat eine kleine Verzögerung gegeben, aber seien Sie unbesorgt. Mr. Johnson wird in Kürze für Sie auftreten. Bitte haben Sie Geduld
Weitere Kostenlose Bücher