Ambient 04 - Terraplane
Welches ist dein Standpunkt?«
Er verzog die Mundwinkel wie unter einem sauren Geschmack, verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und durchsuchte sich müßig nach seinem fehlenden Spielzeug.
»Na?«
»Sie reißt meine Träume auseinander«, sagte er endlich. »Nicht ich bin es, den sie sieht, Luther. Es ist der auf dem Bild, wie heißt er noch gleich. Der große Mann. Ein Botenjunge hätte ihr genauso als Objekt dienen können.«
»Aber du bist es.«
»Unhaltbar!« wiederholte er mit erhobener Stimme.
»Warum?« fragte ich, annähernd so laut. »Was ist vorauszusehen?«
»Schmerz«, sagte er, wieder in kaum hörbarem Gemurmel. »Die falsche Art.«
Er ließ die Worte, wo er sie fallengelassen hatte, und ging zur Tür. Ich winkte ihn zurück.
»Sie liegt im Sterben, Jake«, sagte ich. Als ich ihm erzählte, was ich gelesen und was Doc hinzugefügt hatte, zeigten seine Züge keine Veränderung, gaben keine Andeutung, ob und wie sehr das Gehörte ihm naheging. Wie erwähnt, war Jake nicht ohne Verständnis; rasch erfaßte er alle Verästelungen. Als ich geendet hatte, schwieg ich, neugierig, was ihm durch den Kopf gehen mochte. »Reaktion?«
Er strich sich das Kinn mit Daumen und dem Zeigefinger, biß sich auf die Unterlippe, blickte wandwärts und sagte: »Wie vorausgesehen.«
Das Zuschlagen der Wohnungstür riß uns herum; erst als wir Doc hereinkommen sahen, löste sich unsere Anspannung.
»Wenigstens jemand hier ist wach«, sagte er mit gedämpfter Stimme, um nicht zu wecken. »Sah aus, als wäre hier Siesta.«
»Wir besprachen«, sagte Jake und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. »Entschuldigung.«
»Haben Sie es ihr gesagt?« flüsterte Doc, nähertretend. Das Winseln einer Fliege kam an meinem Ohr zur Ruhe; ich verscheuchte sie mit einer Handbewegung, froh, daß ich sie nicht gefangen hatte. »Ich hab's Jake gesagt«, sagte ich.
Doc seufzte und zog etwas unter dem Arm hervor, um es mir zu geben. Es war eine Nummer der Zeitschrift Popular Mechanics. »Bill schrieb den Artikel auf der Innenseite des Deckblattes. Sie können sich ein Bild davon machen, was ich meinte.«
DIE WELT VON 1960 lautete die Überschrift, hinterlegt mit einer grellen Wiedergabe phantastischer Stadtsilhouetten in Primärfarben und fetten Konturlinien. Der Mittelteil des Gemäldes zeigte gebündelte Betonstraßen in mehreren Etagen zwischen beschnittenen Bäumen und Wolkenkratzern; kein Verkehr war auf den Straßen, sah man ab von einem oder zwei käferartigen Fahrzeugen. Um die Spitzen der Wolkenkratzer summten Hubschrauber und fliegende Untertassen wie Schmeißfliegen.
»Blättern Sie es durch. Sehen Sie, wie genau die Voraussagen sind.«
Ich blätterte, interessiert zu wissen, was die Zukunft meinem Vater bringen würde, oder dem Mann, der in dieser Welt möglicherweise mein Vater sein könnte. Im Jahre 1960 flog er mit dem atomgetriebenen Einmannhubschrauber ins Büro, wo er zwanzig Wochenstunden arbeitete. In seiner Wohnung konnte das Mobiliar mit einem Wasserschlauch gereinigt werden. Das Wetter im Innern der Kuppel, die seine Stadt bedeckte, konnte nach Wunsch eingestellt werden. Tägliche Anwendungen von Pestiziden bewahrten seine Speisen vor dem Verderb. Seinen Anzug zu reinigen, brauchte er bloß im Regen spazierenzugehen. Nur die höchste Kunst wurde durch das unnachgiebige Starren des Fernsehers übermittelt. Wie immer, erwies sich eine Kombination von Lachen und Tränen als die einzige passende Antwort.
»Ziemlich gut gemacht, finden Sie nicht?« fragte Doc.
»Überhaupt nicht.«
»Sie müssen doch manches richtig voraussehen.«
»Nichts.«
»Nun«, meinte Doc, »Trotzdem, die Veränderungen müssen unvorstellbar sein.«
»Ihre Welt ist der unsrigen ähnlicher als vermutet«, sagte ich. »Wir sind in dem, was wir tun, vollendeter. Das ist alles.«
»Man sollte meinen, sie hätten in Ihrer Zeit wenigstens den Krieg abgeschafft«, sagte er. »Wie sie immer darüber reden, müßte es so sein, obwohl man heutigentags noch lange nicht so weit ist. Waren Sie in einer Friedentruppe?«
»Schwerlich«, sagte ich, »und ich war bei vierzehn verschiedenen sogenannten Polizeiaktionen dabei.«
»Wohnen die Leute dann nicht alle in besseren Häusern und Wohnungen?« fragte er. »Wie in diesen Türmen auf dem Titelblatt da.«
»Wie diese abgebildeten?« fragte ich. »Wissen Sie, was von solchen Projekten kommt?« Er schüttelte den Kopf; ich nickte zu Jake, der im Wohnzimmer neben der schlafenden
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