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Ambient 05 - Elvissey

Ambient 05 - Elvissey

Titel: Ambient 05 - Elvissey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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simuliert hatte. Ich hatte dieser besonderen Verbindung erlaubt, mich so eng zu umschließen, daß ich jetzt nach der unerwarteten Lösung keine Freiheit spürte, sondern nur Leerheit.
    Würde mein Mann diese Verbindung mehr vermissen als ich? Was, wenn ich es gewesen war, die sie gelöst hatte? Mein Kopf schmerzte, als würde er inwendig ausgehöhlt. Ich verließ die Couch und das Büro, schloß die Tür hinter mir.
    Im Foyer traf ich John, umarmte seine Stummheit, zitterte in seiner Kälte. Das Licht behauchte uns purpurn, und als ich dastand, fragte ich mich, wie lange man uns noch bluten ließ.
     
    Zwei Stunden lang rerecherchierten wir an jenem Nachmittag und machten uns mit der E-Theorie wiedervertraut: Wir prägten uns dreifach die gegebene Wahrheit ein, die aus Erinnerungen von Cousins, Leibwächtern, Perkussionisten, Psycho-Friseuren und allen anderen rekonstruiert worden war, die während der irdischen Existenz dem Himmlischen nahegewesen waren. Wir wiederhörten die Geschichten über den Dutch Devil in der Version von Goldman (die respektableren Sekten der EK, die sich für Freidenker hielten, bezeichneten ihn nur als den Juden); wir überprüften noch einmal neueingespeicherte, aber so veraltete Nachrichten, daß nur Alice in der Lage war, ihre verlorenen Sprachen zu dehieroglyphieren; wir wiederlasen vermutlich apokryphische Quellen der Gläubigen, die über den kanonisierten Texten unbekannten Offenbarungen berichteten und für die Fundamentalisten so beunruhigend waren, daß sie für Ungläubige kritiklos die größte Glaubwürdigkeit besaßen.
    Während unseres Trainings monitorierten John und ich täglich, tauchten in Bilder ein, studierten Filmmaterial der elften Generation und rißrandige Zeitungsschnipsel aus einer schwarzweißen Jugend, sahen uns Filme aus der Mittkarriere an, die so verblaßt waren, daß seine Haut orange und sein Haar blau erschien. Videos aus seinen letzten Monaten beunruhigten am meisten, vergilbte Bühnenauftritte aus der Zeit, in der – so ging jedenfalls die Überlieferung der Elvii – der heilige Geist so sehr sein Wesen infiltrierte, daß er mittsongs in lallendes Gefasel verfiel. In diesen besonderen Momenten schien E besessen; wovon, zögere ich auszusprechen.
    Doch in seinem Wesen verbarg sich ein Mysterium, das kaum theologisch war. E's musikalische Artikulationen – die einzigen nackten Tatsachen, die wir von ihm besaßen, wennauch zweiterhand – waren beständig, doch weder gedruckt noch gefilmt trat derselbe E zweimal auf. Sowohl die Elvii als auch ihre Gegner nutzten diesen Umstand immer wieder für ihre Zwecke. Daß die Gehbehinderten wieder gehen konnten, und die Sehbehinderten wieder sehen, erschien vielen Elvii als bewiesen; Skeptiker sahen ihn als den letzten und wirksamsten Schlag der Konföderation gegen die Union. Die E am dringendsten brauchen – einschließlich Dryco –, beluden ihn mit vorgefertigten Vorstellungen über seine Anatomie; sie wollten seine unvermeidlichen Knochen mit einer neuen, passenden Haut überziehen; dieser Schöpfungsakt war gar nicht weit von der Fötalkunst entfernt, wurde mir jetzt klar.
    Spielte die Wirklichkeit eines Geliebten eine Rolle, wenn das Bild allein schon genug Trost spendete? Wurde die Wirklichkeit unter solchen Umständen überhaupt registriert oder gar anerkannt? Wer erlitt das tiefste Bedauern, wenn die Wahrheit ihr schreckliches Haupt erhob: der Verehrer oder der Verehrte?
    John und ich unglaubten an E's Göttlichkeit, bezweifelten selbst seinen Wert. Dies diente als vorzeigbarer Beweis, als Leverett uns beauftragte. Doch während unseres Trainings durchdrang E's Präsenz tagtäglich so sehr unser Leben, daß wir unvermeidlich in seiner Flut getauft wurden, wie unwillig auch immer. In diesem Gefühl des Ertrinkens schwankte zeitweise meine Zuversicht: Es war unsicher, ob ich durch die so unnachgiebige Annahme meines erwählten Messias nutzlos die Gnade anderer verloren hatte, die rettenswerter waren. Ich fragte mich, ob mein so erwählter Messias so aussah, wie ich wollte oder wie ich brauchte.
    Johns Augen zeigten überhaupt keinen Ausdruck mehr. Konnte irgend jemand von uns noch den anderen retten? Wollten wir es noch? Wähle deinen Messias und deinen Ehemann mit Sorgfalt aus!
     
    »Wie betrieben?« fragte John, der an jenem Nachmittag neben mir stand, als wir unser Reisetransportmittel inspizierten. Die Werkstatt befand sich mehrere Stockwerke unter einem Generatorkraftwerk, fünf Blocks vom Pelham

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