Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ambient 05 - Elvissey

Ambient 05 - Elvissey

Titel: Ambient 05 - Elvissey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
Vom Netzwerk:
ihre theoretische Anwesenheit erinnert wurde. Unerwartet nahm ich ihre Präsenz wahr und schauderte mit dem Gefühl eines kalten Luftzugs oder eines Eiswürfels, der meinen Rücken hinabglitt.
    »Sie ist am liebsten allein«, sagte Luther. »Verstehen Sie folgende Frage eher persönlich als firmenintern: Was besorgt Sie am meisten an dieser Reise?«
    »Zurückzukehren«, sagte ich.
    Luther nickte. »Hoffen Sie nicht darauf.«
    Es klingelte erneut. Luther zog das Tablett aus der Einheit und riß die glitzernde Hülle herunter. Er wich vor dem Dampfstrahl zurück, um nicht verbrüht zu werden.
    »Verstanden«, sagte John. Luther zog sich Küchenfäustlinge an, bevor er das Tablett aufnahm. »Sie kannten Jake gut?« Die Stimme meines Mannes klang unerwartet sanft, als wären wir allein.
    »Kannten Sie ihn?« fragte Luther. »Meine Frau muß jetzt essen. Möchten Sie sie kennenlernen?«
    »Sie stammt aus der anderen Welt?« fragte ich in der Hoffnung auf eine negative Antwort. Er nickte und hob das Tablett mit zitternden Händen an, als wollte er es jemandem bringen, der ihn brutal zurückweisen könnte. Ich stellte an ihm das vorletzte Resultat unserer unvermeidlichen Verwebung mit der Zeit fest; wie ihre Berührung sich mit den Jahren von der eines Liebenden in die einer Schlange verwandelte. Die Umarmung wurde mit zunehmender Härte erdrückend, während sie soviel Leben stahl, wie sie zur Ernährung brauchte, bevor sie davonkroch.
    »Ihrer eigenen Welt«, korrigierte unser Gastgeber. »Wenn Sie nicht zurückkehren, seien Sie achtsam«, fügte er hinzu. »Wer hinübergeht, verändert sich.«
    Wir folgten ihm durch eine Passage, die mit alten grauen Gravuren Manhattaner Szenen verziert war, wie mit Nadeln aus Rauch eingeritzt, und flüchtige Blicke unserer eigenen verlorenen Welt festhielt. Selbst in ihrem Existenzmoment bestanden diese Orte und Menschen aus weniger dauerhafter Substanz als das, was ihre Schatten festgehalten hatte. Vorstellung der anderen Welt schien weder empirischer noch vergänglicher als die Irrealität unserer eigenen.
    Luther ließ eine Tür am Ende des Korridors aufgleiten. Dahinter war ein verdunkelter Raum, doch voller Licht. Zwanzig wandinstallierte Monitore umringten seine Frau; jeder war auf einen anderen Kanal geschaltet. Ihre Lautstärke war hörbar genug, um dreißig Sprachmonologe gleichzeitig mißzuverstehen. Luthers Frau saß statuenstarr in einem Stuhl und hatte ihre Augen, die genauso starr wie die Mattscheiben blickten, auf die meisten der Monitore gerichtet. Regenbogenvielfarben spektralbeleuchteten ihr schwarzes Gesicht.
    »Wanda, Schatz«, sagte Luther und kniete neben ihr. »Hast du Hunger?« Sie schwieg. Sie war zu sehr von ihren Visionen gefangen, um die Welt außerhalb ihres Illusionskreises beachten zu können. »Wanda«, wiederholte er. »Kauzeit, Schatz. Mund auf.«
    Er führte ein Stück Kartoffel, das er mit den Zinken einer Gabel aufgespießt hatte, zu ihrem Mund und zwängte ihre Lippen auseinander. Sie machte Mundbewegungen, als würde sie ertrinken und wollte nur noch mehr Wasser einsaugen. Luthers Frau wandte ihren Blick nicht von den Monitoren ab, während sie die Gabel einließ. Als er sein Instrument herauszog, kaute sie sorgfältig, als wäre sie darauf bedacht, sich nicht auf die Zunge oder die Lippen zu beißen.
    »Gut?«
    Sie nickte. Momentlang kniete er wortlos da. Offenbar richtete sich seine Aufmerksamkeit ganz auf seine Frau, wenn er mit ihr zusammen war. Er lächelte und betrachtete sie mit Fernsehaugen, die himmelfarben und mit induziertem Leben erfüllt waren. Ich stellte mir vor, daß er nach der unausgesetzten Berieselung durch unsprechbare Sendungen auf diesen einzigen Kanal geschaltet hatte, der alles zeigte, daß er noch ertragen konnte.
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Warum?« fragte Luther mit offensichtlicher Verwirrung über meine Sorge. Sein Tonfall entrückte sich unausdrückbar fern, als er meine Ohren erreichte. »Sie ist glücklicher.« Seine Frau lachte. Sie hatte etwas Lustiges auf einem der Bildschirme gesehen. »Bringen Sie keine Souvenirs zurück«, sagte er und verlor sein Lächeln. »Nostalgie ist schlimmer als jede Droge.«
     

3
    »Sie antizipieren freudig eine Reise ohne Rückkehrgarantie?«
    »Nicht ungarantiert«, erwiderte ich. Deckenwärts erschien meinen hochblickenden Augen ein Riß wie ein Haar in Milch. Ein Chlorgeruch durchdrang den Raum, als wäre er vor kurzem ein jetzt trockengelegter Swimmingpool

Weitere Kostenlose Bücher