Ambient 05 - Elvissey
gewesen.
»Weil keine Rückkehr garantiert ist?«
»Nein«, sagte ich korrigierend. Ich sammelte meine Gedanken und drückte etwas aus, das ich für neu hielt, zumindest bis zum Moment, wo ich die Idee ausdrückte. »Ich wünsche nicht zu suizidieren.«
»Ihre Verneinungen sind sehr bejahend.«
»Mein Mann wünscht es so.«
»Glauben Sie, daß er zu sterben wünscht?«
»Ein unzauderndes Ja.« Unzaudernd konnte ich jedoch nur für einen von uns ehrlich antworten. Bodenwärts blickend betrachtete ich den Raum zwischen meinen Füßen. Die Uhranzeige machte mir klar, daß diese Endsitzung erst halb vergangen war. Luftzüge raschelten die wandverhüllenden Vorhänge, die alle Außengeräusche dämpften.
»Verdacht auf Todeswünsche Ihres Mannes?«
»Seine Aktionen belegen klar, wie immer wieder berichtet. Ausgedrückte Gedanken und Taten demonstrieren ebenfalls. Seine Worte und Gesichtsaffekte zeigen eine deutlich passende Nachlässigkeit.«
»Nach Ihrer Interpretation.«
»Nach ihrer Offenkundigkeit«, sagte ich. Ein rechtswärts an den Vorhängen angebrachtes Magritte-Poster reproduzierte den grünen Apfel des Malers, der einen winzigen Raum ausfüllte. Die Aufschrift annoncierte eine Retrospektive der Postmoderne vor zwei Jahren. Ich hatte sie nicht besucht; das Werk der Surrealisten war zu sehr mit Tradition durchflutet, um meinen Vorlieben zu entsprechen. Überall in den Dryco-Gebäuden hingen neben Portraits vergangener und gegenwärtiger firmeninterner Berühmtheiten multikulturelle Kunstwerke aus fünf Jahrhunderten, die allesamt von Mister O'Malley ausgesucht waren. Im Ganzen erzeugten sie durch die Bestimmung und Vergleichung ihrer Details ein Muster, das – zumindest hatte mich Judy diesbezüglich informiert – nur für Mister O'Malley einen sinnvollen Bezug herstellte.
»Dies deprimiert Sie?«
»Über sehr«, sagte ich, »erleicherungslos.«
Durch diese Räume summte ein leises Summen, das Lebensgeräusche effektiver simulierte als gewöhnliches weißes Rauschen. Es klang wie Bienen nebenan, das Schnurren eines kranken Kätzchens, die Spätabendgeräusche des Nachbarn, durch die Schlafzimmerwand wahrgenommen, oder die digitalisierte Aspiration künstlicher Lungen.
»Eine erfreuliche Depression oder eine vermeidbare?«
»Depression kann erfreulich sein?« fragte ich.
»Für manche, wenn sie Träume selbstvollzogener Isolation verstärkt.«
»Ich beziehe daraus keine Freude.«
»Bereits geäußert. Überzeugung mit vollem Nachdruck?«
»Wie ein Lied im Gehirn.«
»Was singt das Lied?« wurde ich gefragt. »Depression erzielt ihre eigene Phantasie, das Fortissimo ertränkt die wahrsten Wahrheiten. In einem derartigen Zustand tauchen vorgestellte, ungehörte Leitmotive aus dem Notenfluß auf. Woher weiß der Zuhörer, ob sie wirklich in der Partitur notiert sind?«
»Unbekannt«, sagte ich.
»Gefahren der Selbstanalyse nachgewiesen.«
»Dennoch zweiflig.«
»Versuch eines anderen Ansatzes. Was ist Ihre Reisephantasie?«
»Sie meinen, was ich hoffe, wenn wir abgeschlossen haben? Oder während wir drüben sind?«
Keine Antwort kam. Ich lag auf der Couch, starrte in die Decke wie in Wolken, sah geliebte und gehaßte Gesichter und wünschte mir wie immer eine ewigabsente Klarheit.
»Was ist gemeint?« fragte ich.
»Was ist Ihre Reisephantasie?«
Bevor ich antwortete, schloß ich die Augen, überlegte meine ehrlichste Antwort, wenn nicht die vorgezogene. »Unser Bild neu einzuprägen«, sagte ich. »Alles, das war, wieder ganzzumachen. Der Versuch zählt. Ehrlich?«
»Was ist Ihre Reisephantasie?«
»Warum war das Gesagte unzureichend?« fragte ich; wieder Stille. »Ich will uns nur bessern. In letzter Zeit haben wir nur verschlimmert, scheinbar mit unseren Wünschen. Ein neugemachtes Leben wird gewünscht. Aber es wird nie geschehen, wenn …«
»Ihre Phantasie? Ihre Phantasie? Ihre Phantasie?«
Besorgt über die plötzlich ausgebrochene Obsession des Interrogators drehte ich mich um, um ihn zu konfrontieren und zu irritieren, wie ich irritiert worden war. Ich sah unerwartete Artikulationen auf dem Bildschirm, unüberraschende Worte:
ERRORBLOCKADE / SYSTEMFEHLER / ANALYSE LÄUFT.
»Ihre Phantasie? Ihre Phant …«
Mein Analytiker wiederholte immer wieder seine Analyse, genauso unbewußt über seinen offenkundigsten Zwang wie irgendein Patient. Ein durchgescheuertes Kabel oder eingeschlossenes Staubkörnchen verhinderte meinen Abschied von ihm, der so sorglich Behandlung
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