Ambient 05 - Elvissey
Bist du vertraut mit der Gedächtnisfotografie?«
»Nein«, sagte ich. Die meisten Bilder waren Beisetzungsaufnahmen, direkte Polaroids, die vorkrematorisch geschossen worden waren; andere waren älter, einschließlich einiger Zinktypien von vor eineinhalb Jahrhunderten, so alt, daß ihre Oberflächen mit den Kisten eins geworden waren.
»Sehr populär während des neunzehnten Jahrhunderts. Wieder populär am Ende des zwanzigsten, als es wieder bergab ging. Eine Spezialität der neunziger Jahre, genau das, was man von jener Periode erwarten würde.« Die zwei Wände standen weit genug auseinander, so daß unsere Schultern sie kaum streiften, als wir hintereinander durchgingen; ihre Längen labyrintheten durch das Erdgeschoß des Hauses und reichten über vierzig Meter weit. »Alles Gedächtnisfotos. Schatten von Verlorenen.«
»Viele von ihnen wirken so …«
»Normal?« fragte sie. »Tödliche Deformitäten zeigen sich selten äußerlich. Zehn Prozent der Abgebildeten starben zetBe, weil sie lungenlos geboren wurden.«
Ich starrte auf eine Aufnahme eines gefensterten Sarges, der für zwei konstruiert worden war; die Köpfe eines scheinbaren Paares waren darin sichtbar, und ich fragte mich, ob ihre Verbindung physikalischer oder metaphorischer Art war. »Ihre Schönheit ist nicht unmittelbar ersichtlich, selbst jenen nicht, die Fötalkunst zu schätzen glauben. Dies geht den meisten zu nah, fürchte ich.«
Kleine weiße Lichter, die oben an den Wänden befestigt waren, gaben genug Schein, um jedes Foto zu illuminieren. »Du kennst ihre Hintergrundgeschichten?« fragte ich.
»Ich versuche. Jemand sollte sich erinnern«, sagte sie. »Die ältesten Bilder sind anonym, versteht sich. Aber sie sind nicht vergessen, nur verloren. Und diese hier in der letzten Reihe sind meine.«
Sie deutete auf die eingekisteten Bilder ihrer nichtlebensfähigen Kinder; die meisten waren erkennbar recyclet worden. Ich zählte vierzehn Kisten. »Nur vier waren ganzzeitig. Fünf Geburten waren mehrfach. Alle sind immer noch bei mir.« Tanya schaltete die Beleuchtung ihrer Stücke aus und führte mich durch den Raum zur Treppe.
»Wie hast du die Väter ausgewählt …?«
»Willkürlich«, sagte sie, während wir aufstiegen. »Je nach Umständen; sie sind eher unwesentlich, sobald der Funke gezündet hat. Dienen als Keim der Ideen sozusagen. Da wären wir.« Am Ende der Treppe befand sich eine hohe doppelte Eichentür; sie schob sie auseinander und öffnete ihr Atelier. »Ignorieren, Schatz, wir sind beschäftigt.« Tanyas Tochter stand auf einer gerollten Plastikröhre am anderen Ende des Raumes; legte kleine Knochen in einen abgeschirmten Holzrahmen und schüttete funkelndes Puder mit einem Zuckerstreuer darüber. Während sie sie beglitterte, hob sie gelegentlich einen Schenkelknochen, eine Rippe oder einen Wirbel und hielt sie ins Sonnenlicht, um ihren Glanz zu begutachten. Das obere Stockwerk des Hauses hatte eine Kathedralendecke, die giebelseitig offen war; die Wände richtung Fluß waren verglast. Die Sonne, die über Jersey aufging, tauchte den Raum in Bernsteingelb. Tanya sagte ihrem Kaffeekocher, uns zwei Tassen einzuschenken, und wir setzten uns in zwei Korbschaukelstühle; sie verschränkte die Beine unter sich, worauf die Katze in ihren Schoß hüpfte.
»Du warst also in der Columbia-Ausstellung?« sagte sie. »Sie war so erfolgreich. Vergib mir, mich nicht an dich erinnert zu haben.«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich hatte von der Bewegung gehört, deine Arbeit aber noch nie gesehen.«
»Das war unsere erste überirdische Ausstellung«, sagte sie. »Bis Ms. Glastonbury die Sicherheit übernahm, beinhaltete eine öffentliche Ausstellung die Durchquerung grauer Bezirke. Seitdem hatten wir keine Probleme mehr.« Sie nickte zu ihrer Tochter. »Eine fleißige Arbeiterin. Wie sieht es aus, Schatz?«
Ihre Tochter hob einen Armknochen auf, der nicht länger als ein Schreibstift war, und schwang ihn wie einen Taktstock, wobei überschüssiger Glitter bodenwärts rieselte. »So?«
»Das ist reizend, Schatz«, sagte Tanya. »Viele meiner Mitarbeiterinnen ohne Atelierraum lassen ihr Material hier, und wir behandeln sie entsprechend wie gewünscht. Wir stehen uns alle recht nahe.« Sie lächelte. »Ms. Glastonbury sagte mir, du seist schwanger.«
»Mein erster Monat«, sagte ich. »Bislang perfekt.«
»Das ist korrigierbar. Welche Verfahren würdest du bevorzugen?«
»Deshalb bin ich nicht hier.«
»Natürlich. Tut mir
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