Ambler-Warnung
Weisheit. Und eine Sanftmut, die stärker war als alle Brutalität. Er dankte dem Direktor des Weltwirtschaftsforums in singendem, melodischem Englisch und wechselte dann ins Chinesische. Er richtete seine Rede zwar an die Welt, aber seine Landsleute waren ein großer Teil dieser Welt, und er wollte ihnen zu Hause vor den Fernsehschirmen das Gefühl vermitteln, dass er seine Muttersprache mit Stolz und Eloquenz gebrauchte. Er wollte ihnen zeigen, dass er keine heimkehrende Meeresschildkröte – keine hai gui – war, sondern ein echter Bürger Chinas, ein wahrer Mann des Volkes. Ambler verstand nicht, was der Mann sagte, aber er begriff vieles durch die Art, wie er es sagte. Oft lenkten die Worte und die Grammatik einer Sprache nur von den feinen Nuancen ab, die Stimmlage und Intonation vermittelten. Von den ehrlichen Emotionen, die sich unter der Schicht komplexer Ideen verbargen.
Liu Ang sprach humorvoll und amüsant – die mit Kopfhörern bewaffneten Zuhörer lachten genau an der Stelle, an
der Ambler es erwartet hatte – und danach ernst und leidenschaftlich. Er hatte eine Wahrheit begriffen, die er auch anderen begreiflich machen wollte. Er wollte nicht überreden, sondern überzeugen. Eine ungewöhnliche Stimme für einen Politiker. Es war die Stimme eines echten Staatsmanns, eines Mannes, der wusste, dass Frieden und Wohlstand möglich waren, und der den Rest der Welt dazu einladen wollte, seine Vision mit ihm gemeinsam zu verwirklichen. Eines Mannes, der begriffen hatte, dass Kooperation genauso mächtig und produktiv war wie Konkurrenz. Eines Mannes, der dem Reich der Mitte eine Toleranz und Erleuchtung gebracht hatte, die auch dem Rest der Welt helfen würde.
Die Stimme eines zum Tod verurteilten Mannes.
Irgendwo im Saal wartete der Attentäter auf den richtigen Augenblick, und Amblers Instinkte, seine besondere Begabung, hatten ihn jämmerlich im Stich gelassen. Er hatte versagt. Ambler starrte so intensiv durch den Sucher, dass sein Blick verschwamm und sein Nacken steif wurde. Abrupt, beinahe unwillkürlich sah er auf und streckte den Hals. Er sah sich um; sein Blick wanderte über die Kameramänner und blieb an Laurels Gesicht hängen.
Sie blickte gebannt durch den Sucher ihrer Kamera auf den Mann am Rednerpult, dessen Stimme sie genauso fasziniert hatte wie ihn. Es dauerte einen Moment, bis sie merkte, dass Ambler sie ansah. Etwas huschte über ihr Gesicht, dann drehte sie sich um und sah ihn mit tapferer Entschlossenheit an. In ihrer Miene spiegelten sich Liebe, Loyalität und Hingabe. Ambler blinzelte krampfhaft. Hatte er etwa ein Gerstenkorn im Auge? Nein, alles in Ordnung. Aber was hatte er da eben gesehen?
Plötzlich kam ihm der Saal eiskalt vor, als sei die Temperatur abgestürzt. Ein eisiger Windstoß schien ihm ins Gesicht zu peitschen.
Aber das war Wahnsinn! Er musste sich getäuscht haben. Er durfte seinen Augen nicht trauen.
Er spulte die Szene vor seinem geistigen Auge noch einmal ab. Laurel, seine geliebte Laurel, beobachtete die Bühne mit ruhiger – oder etwa versteinerter! – Miene. Dann ihr Gesicht, kurz bevor ein liebevolles Lächeln darauf erschien. Wieder und wieder vergegenwärtigte er sich diesen Augenblick und sah den Ausdruck, der so flüchtig und unverwechselbar wie das Aufglimmen eines Glühwürmchens über ihr Gesicht gehuscht war.
Den Ausdruck reiner, abgrundtiefer Verachtung.
Kapitel dreiunddreißig
Ambler warf Laurel einen weiteren verstohlenen Blick zu und sah, dass ihr rechter Finger auf einer Art Bügel unter der Linse ruhte. Nein. Er realisierte, was es war. Ein Abzug. Wie ein Blitzschlag durchfuhr ihn die Erkenntnis mit einer Wucht, die ihm beinahe die Besinnung raubte.
War es möglich, dass er so blind gewesen war?
Die ganze Zeit hatte ein Puzzlestück gefehlt, nicht wahr? Er hörte Castons Stimme: Es gibt immer einen Sündenbock. Ein Komplott dieser Größenordnung konnte nicht anders funktionieren. Ambler begriff, und es traf ihn wie ein körperlicher Schlag. Er sollte das Attentat nicht verhindern.
Man wollte ihn dafür verantwortlich machen.
Die Kameras waren Laurels Idee gewesen. Ihre »Inspiration«. Die alten Modelle waren mit Stahl verkleidet, und jeden Tag durchliefen mehrere Dutzend Kameras die Metalldetektoren. Aber die Strahlen durchdrangen das Metall nicht. Laurels Kamera diente nicht dazu, eine Waffe zu verbergen. Sie war die Waffe.
Es durfte nicht sein – und doch war es so. Seine Gedanken drehten sich schwindelerregend
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