Ambler-Warnung
geklebt hatte.
Ambler scannte die Sitzreihen. Es waren so viele Leute. Verdammt, es waren viel zu viele Leute. Wie sollte er nur ...
Er riss sich zusammen und verdrängte den Gedanken. Gedanken nutzten ihm nichts, sie behinderten ihn nur. Er versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen und sich in einen Zustand reiner Wahrnehmung zu versetzen. Er musste wie eine unsichtbare Wolke durch den Saal schweben. Wie ein Schatten, der alles sah, aber von niemandem gesehen wurde.
Ein Kaleidoskop menschlicher Emotionen lag vor ihm. Der Mann mit dem starren Grinsen, der – darauf hätte Ambler schwören können – unbedingt aufs Klo musste, aber genauso unbedingt seinen Sitzplatz behalten wollte. Die Frau, die den Fremden neben ihr in ein Gespräch verwickeln wollte. Der Mann hatte sie nach einem einzigen abschätzigen Blick als uninteressant bewertet, und sie fürchtete, dass er sie beleidigt hatte, und hoffte gleichzeitig, dass es nur ein Missverständnis gewesen war. Der junge Mann mit fleischigen, roten Wangen schien sich zu ärgern, dass er keinen starken Drink intus hatte. Der Besserwisser, der sich ein bisschen zu weit aus dem Fenster lehnte und über Chinas Außenpolitik schwadronierte, während seine Begleiter – seine Untergebenen? – ihm höflich zuhörten und ihre Verachtung für ihn verbargen.
Mehrere Hundert ganz normale Menschen mit ihrer ganz persönlichen Faszination, Langeweile, Gereiztheit und Vorfreude, Farbkleckse auf der Palette menschlicher Gefühle. Keiner war der Mensch, den Ambler suchte. Er kannte den Typ. Er konnte ihn nicht beschreiben, er erkannte ihn nur, wenn er ihn sah oder spürte, wie er Kälte spürte, wenn er an einem warmen Tag die Kühlschranktür öffnete. Die eiskalte Entschlossenheit des Profikillers. Ein Mann, der sich seiner Umgebung mit allen Sinnen bewusst war, der sich nicht nur auf das vorbereitete, was er sehen würde, sondern auf das, was er tun musste. Ambler spürte das immer. Er hatte es bis jetzt immer gespürt.
Denn jetzt – wo es so wichtig war, wie niemals zuvor – spürte er nichts. Wieder stieg Panik in ihm auf, und wieder drängte er sie zurück. Er eilte zum hinteren Teil des Saals und stieg einige Terrazzostufen hinauf, die zur Empore führten. Im Zentrum standen drei stationäre Kameras und ein halbes Dutzend mobile, die Sender aus der ganzen Welt aufgestellt hatten. Die Empore wäre ein idealer Platz für den Schützen; es war nicht besonders schwierig, von hier aus das Ziel zu treffen. Ambler suchte Laurels Blick – ein Verdurstender, der um einen Schluck Wasser bittet – und sah sich dann die anderen Kameramänner an, erforschte jedes fremde Gesicht. Nichts. Kein Zucken der Wünschelrute, kein Ticken im Geigerzähler. Nichts.
Das Auge der Kamera würde ihn vielleicht erlösen. Wortlos stieg er auf die Empore, ging zu Laurel und nahm die Kamera, die sie für ihn vorbereitet hatte. Die Kamera mit bis zu 48-facher Vergrößerung. Um nicht aufzufallen, hatte Laurel sich neben einer älteren Zweilinsenkamera aufgestellt, die sogar noch verbeulter war als seine eigene. Er kämpfte seine Angst nieder, drehte am Neigungsknopf und richtete die Kamera nach schräg unten. Er nahm die Zuschauer unter sich
ins Visier. Um sein Ziel zu sehen, musste der Attentäter in der vorderen Saalhälfte Platz nehmen. Blieben immer noch fünfhundert Kandidaten. Wie hatte er sich nur einbilden können, dass er eine Chance hatte? Ein eisernes Band schien sich um seine Brust zu legen, und das Atmen fiel ihm schwer. Seine Chancen standen eins zu ...
Nein, solche Gedanken musste er Clayton Caston überlassen. Dies hier war sein Metier. Er musste jeden Gedanken an sich selbst, alle Vernunft aus seinem Geist verbannen.
Er durfte nicht scheitern.
Wenigstens funktionierte die Kamera so gut, wie er es sich erhofft hatte. Der Autofokus stellte fast augenblicklich scharf. Denk nicht nach. Manchmal waren die Gesichter nur Silhouetten, manchmal sah er sie aus einem komischen Winkel, aber die Elektronik und der Zoom der Kamera waren so ausgereift, dass die Beleuchtungsunterschiede sofort ausgeglichen wurden. Die Details waren atemberaubend deutlich. Er nahm ein Gesicht nach dem anderen ins Visier und erforschte es mit dem Sucher. Er wartete auf das Prickeln, das ihm befehlen würde, anzuhalten und genauer hinzusehen.
Laurel, die dicht hinter ihm stand, murmelte ermutigend: »Du findest ihn, mein Liebster.«
Er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals. Sie war die Einzige,
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