Ambra
sei in der Schublade des Nachtschränkchens zurückgeblieben.
Obwohl mittlerweile die Dämmerung angebrochen war, funkelte der Stein in der Hand des Jungen, das wenige verbleibende Licht brach sich darin und offenbarte schließlich die Spinne, die im Stein kauerte. Mit dem Daumen strich er über sie hinweg und blinzelte. Alles war plötzlich ganz still.
Mein Geburtstag fiel in eine Zeit, in der die Frühlingssonne stärker brannte als gewöhnlich. Bei Tag, wenn am Himmel höchstens zwei, drei Dutzend Wolken trieben, speicherte der Backstein die Wärme und gab sie langsam ab an die kühlen Stunden der Nacht.
Ein sonderbares Glühen schwebte im Dunkeln wie ein Heiligenschein über den Dächern und verwirrte die Vögel und die spät heimkehrenden Yachtbesitzer draußen in der Bucht. Dieses Phänomen, das manche für wetterbedingt hielten, gab anderen Anlass zur Spekulation: Das Fernsehen machte eine sprunghaft angestiegene Glühwürmchenpopulation dafür verantwortlich, Bartosz sagte, es handle sich um Gase, die aus der Ostseeaufstiegen und vielleicht von Russland her eingespeist worden waren, und Bronka wiederum glaubte, hier zeige sich die Seele der Stadt, oder wenigstens ihre jahrhundertealte Melancholie. Ein paar Fremde auf der Straße, deren Gespräch ich zufällig hörte, redeten von nuklearer Verstrahlung, wussten aber auch nicht, woher sie gekommen und wer dafür verantwortlich war.
Tagsüber lag die Stadt ganz still, über sich die Sonne im Zenit, ganz geduldig und gleichmütig gegen alles, was geschehen mochte – was machte schon das bisschen Wärme, wenn man die Höllenfeuer gesehen hatte und aus ihrer Asche auferstanden war, was machte da schon die Leere, die entstanden war, weil alle hinaus ans Meer oder wenigstens an den Fluss gegangen waren?
Das mit dem Boot war nicht meine Idee gewesen. Ich kann Wasser nicht ausstehen, jedenfalls nicht dann, wenn es mich umschließt und ich jederzeit damit rechnen muss, dass es mir gefährlich wird. Dusche, Wasserglas, Strand, das ist das Äußerste, was ich zu tolerieren bereit bin. Aber ein Segelboot? Klar, ich dachte, das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass es kenterte, und das war bei einer Fahrt auf einem Fluss nicht wirklich lebensgefährlich, links Land, rechts Land, aber am Ende war es dann doch nicht das Wasser, das Renia und Bartosz verschlang, sondern das Land.
Kinga, wird Bronka sagen, was erzählst du denn da, Kinga, wie soll denn so etwas möglich sein, aber das kann ich nicht beantworten, ich kann nur berichten, wie es geschehen ist, und wie ich es berichte, ist es die Wahrheit, und mit der verdammten Bootsfahrt hatte es begonnen.
Dabei fing der Tag eigentlich gut an. Schon kurz nach zehn Uhr morgens schien die Sonne so stark, dass meineHaut kribbelte, die Schwalben zischten hoch über den Straßen, es roch nach Teer und Blumen und aufgehängter Wäsche, als ich mit Albina das Haus verließ, und es war mein Geburtstag, ja. Die Zeit war auch in dieser Stadt vergangen und hatte mich um ein knappes Jahr altern lassen, einige graue Haare waren erschienen, die ich für blonde Strähnchen halten wollte, bis mich Bronka darauf ansprach: Ich solle mir keine Sorgen machen, bei ihr habe das noch viel früher angefangen.
Dein Geburtstag, hatte Bronka gesagt, soll dir nichts als Freude bereiten, dafür werde ich schon sorgen.
Nach dem Desaster mit der Pfandleihe und Rokas’ Betrug vor zwei Wochen war ich froh, dass sie überhaupt noch mit mir sprach, und hatte mich gefügt. Heimlich war ich sogar bei einem Notar gewesen und hatte alles in die Wege geleitet, um die Wohnungsfrage ein für alle Mal zu bereinigen. Mein Geburtstag schien dafür der ideale Anlass.
Bronka hatte wohl beschlossen, sich nicht in Bartosz’ und meine Angelegenheiten einzumischen, und als solche hatte sie die Pfandleihe wohl angesehen. Vielleicht wusste sie auch einfach nicht, wie viel Geld im Spiel gewesen war. Dass ihr Sohn und ich uns so gut wie entzweit hatten, bereitete ihr Kummer, und so hoffte sie wahrscheinlich, uns durch die Feier wieder zusammenzubringen. Auf einem Boot konnte man sich schließlich schwer aus dem Weg gehen.
Als ich mit Albina am Yachthafen ankam, dachte ich noch, man hätte ein Fischrestaurant gemietet, nichts weiter. Ich tat so, als glaubte ich ihr, dass wir einfach einen Spaziergang machten, weil das Wetter so schön war. Aber dann das: Im Yachthafen, neben den Motorbooten und kleineren Segelbooten, lag etwas, das manbeinahe schon als Schiff
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