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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Emmerich ihm eine Kröte ins Hemd gesteckt und draufgeboxt hatten, ganz heldenhaft hatte der ausgesehen, wie er mit hocherhobenem Kopf nach Hause gegangen war, um sich von seiner Mutter frische Kleider geben zu lassen. Emmerich kniff seine Lippen zusammen, zählte die Nieten des kleinen Koffers, den seine Mutter mit warmer Kleidung und ein wenig silbernem Besteck gefüllt hatte, und zwang sich, genauso ruhig zu bleiben wie Willi, die Mütze tief in die Stirn gezogen. Seine Mutter stand jetzt wieder über ihm, aber die einzige Regung in ihrem Gesicht war das Spiel der Kiefermuskulatur. Sie hatte ihreSchwiegermutter angesprochen, aber die war so versunken in ihr Gebet, dass sie kaum reagierte.
    Lilli Mischa hatte keine weiteren Verwandten gefunden, und von einem freien Platz weiter hinten im Schiff konnte keine Rede sein: Es war so überfüllt, dass man froh sein konnte, wenn man einen Ort zum Sitzen hatte. Sie legte ihrer Mutter eine Decke über die Schultern, zog ihren Sohn an sich und schob ihn unter ihren Mantel. Bald sind wir da, flüsterte sie ihm zu, bald sind wir da. Weißt du, da, in Dänemark, da warten ein Bett auf dich und Milchsuppe und frische Kleidung und … Ihre Stimme erstickte, und sie wandte das Gesicht von ihrem Sohn ab.
    Emmerich nieste, als er sein Gesicht an die Innenseite des Mantels schmiegte, und schloss die Augen. Lilli hatte begonnen, ihn zu wiegen und ein Kinderlied zu summen, das ihm bekannt vorkam … Da erinnerte er sich: Das Lied hatte er oft hinter der Wand gehört, der Wand, die sein Kinderzimmer vom Kinderzimmer Brunons getrennt hatte, und wann immer seine Mutter
Schlaf, Kindlein, schlaf
gesummt hatte, wurde drüben dieses Lied gesungen. Einmal klang es bis weit in die Nacht herüber, das musste an dem Tag gewesen sein, als Hansi und Willi den Jerzy Kosmowski in den Graben gestoßen hatten, dort, wo es besonders viel Morast gab und wo angeblich ein Schwan verweste,
Scheißpolacke
sollen sie gebrüllt haben, aber das wusste Emmerich nur aus ihren Erzählungen, denn er, Emmerich, war an dem Tag beim Kinderarzt gewesen. So oder so hatte seine Mutter ihm verboten, mitzumachen, wenn die Größeren die polnischen Kinder ärgerten, und die meiste Zeit versuchte er, sich daran zu halten.
     
    Der Streifen Land am Horizont war verschwunden, ohne dass gegenüber ein neuer aufgetaucht wäre. Durch ein Knopfloch des Mantels seiner Mutter schaute Emmerich aufs Meer hinaus, und für einen Moment war er sich sicher, dass es gar kein Dänemark gab. Seine Mutter hatte aufgehört zu summen, vielleicht war sie eingeschlafen. Er hörte, wie sich neben ihnen jemand erbrach, und presste den Mantel gegen sein Gesicht. Vielleicht könnte er einfach für immer unter diesem Mantel bleiben, alles Lebensnotwendige würde seine Mutter ihm nach innen reichen, und dann wäre alles andere egal, dann konnte alles andere kaputtgehen. Ob Brunon gerade auch so hungrig war wie er selber? Was sollte es da schon zu essen geben, in diesem kaputten, dreckigen Haufen, zu dem die Stadt geworden war, warum nur waren sie nicht mitgekommen? Man konnte doch nicht bloß Steine und Schutt und Asche essen …
    Emmerichs Magen knurrte. Er wusste, dass seine Mutter in dem Leinenbeutel, den sie versteckt in ihrer Manteltasche trug, eine Packung Haferkekse aufbewahrte, für den Notfall, wie sie gesagt hatte. Vorsichtig löste er sich von ihr, streckte seine Hand aus und fühlte nach, wo sich die Öffnung des Beutels befand. Die Henkel kamen zum Vorschein, dann knisterte es, das musste das Butterpapier sein, in das die Kekse eingepackt waren, schon fühlte Emmerich ihre raue Oberfläche, da spürte er eine Bewegung, zwei Hände packten ihn und hielten ihn fest. Lilli hatte ihre Augen aufgeschlagen und war hochgefahren. Als sie sah, dass es ihr Sohn war, der sich an den Keksen zu schaffen gemacht hatte, ließ sie los.
    Entschuldige, sagte sie, ich dachte, es wäre jemand anders, jemand, der … Emmerichs Augen füllten sich mit Tränen. Er versuchte sich zu beherrschen, aber ausgerechnetin diesem Moment fingen die beiden Mädchen, die neben ihnen auf dem Schoß ihrer Großmutter saßen, an zu plärren, so laut, dass sie beinahe das Dröhnen des Schiffes übertönten. Emmerich weinte. Als sein Schal und sein Kragen schon ganz nass waren, beugte sich Lilli zu ihm hinunter und legte etwas in seine Hand. Emmerich schaute darauf und vergaß für einen Moment zu weinen.
    In seiner Hand schimmerte der Bernstein, von dem er geglaubt hatte, er

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