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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Sohn des ärmsten Mannes im Dorf. Sein einziges Glück war, dass seine Vorväter seit Jahrhunderten an derselben Stelle gelebt hatten, und egal, wie viele Schulden er beim Müller oder im Dorfladen hatte, die Menschen duldeten ihn und nahmen sein Unglück hin, so wie sie das Altern der Dorfeiche hinnahmen.
    Kazimierz, sein Vater Józef und seine Mutter Katharina lebten in einer Gegend, die sich schlecht entscheiden konnte, ob sie dem einen Volk angehörte oder eher dem anderen. Sogar die Tiere in dem tiefen Wald, der das Dorf umgab, hatten sich mit den Jahren an die verschiedenen Sprachen gewöhnt, die die Menschen benutzten: die scharfen, abgehackten Konsonanten, die manchmal durch den Wald peitschten, und die weichen, zischelnden Schlangenlaute, die sich an den Bäumen vorbei und über das Moos hinweg wanden. Das kleine Dorf lag abgeschieden und war auf dem Landwegkaum zu erreichen: Einzig ein Fluss, der am Dorf vorbeifloss, war schiffbar und trug manchmal Boote mit Menschen und Dingen vorbei, und dann wunderten sich die Dörfler sehr und fürchteten sich auch ein bisschen.
    Der Fluss, sagten sie, bringt seltsame Gestalten hervor, und der Wassermann, der zuzeiten an Land geht und versucht, mit den Dörflern Handel zu treiben, ist nur einer von ihnen.
    Noch mehr als dem Fluss misstrauten die Dörfler nur den Bewohnern des Dorfes zwei Kilometer weiter auf der anderen Seite des Flusses, dessen Bewohner für sie
die von da drüben
waren. Diese hatten einen Dorflehrer, der aus der Stadt am Meer kam. Man erzählte sich, dass er die Kinder verzaubern und ihnen die Sprachen der Tiere beibringen würde – einmal soll er sogar auf dem Eber des Bauern Trabetzki durch das ganze Dorf geritten sein, vorbei an der Kirche und der Eiche und bis hinab zum Fluss, wo der Eber angehalten habe, aber das hatte niemand genau verfolgen können, denn eigentlich sah man vom Dorf gerade einmal bis zur Kurve mit dem Findling. Dieses Vorkommnis jedenfalls festigte die Meinung der Dorfbewohner über die Fremden, die außerhalb des Waldes wohnten, und wann immer sie einem Bewohner des anderen Dorfes begegneten, spuckten sie aus und riefen: Der Wassermann soll dich holen!
    Einmal, so erzählte der alte Tischler seinem Sohn Kazimierz, war jemand von weither gekommen, um die Sprache und die Gepflogenheiten des Dorfes zu studieren, aber die Leute im Dorf erschraken vor der Aussprache des Mannes und seinen Kleidern, in denen er so steif steckte wie ein Baum in seiner Rinde – so hatte man damals gesagt. Der Mann fuhr ab, ohne viel gelernt zu haben über die Traditionen und Feste, die man imDorf feierte. Einzig ein paar Zeichnungen hatte er anfertigen können von den Kleidern der Frauen, ihrem Kopfschmuck und den bestickten Tüchern, die sie an die Fenster hängten.
    Von allen Dörflern war der alte Tischler der gutmütigste: Es passte einfach nicht in seinen Kopf hinein, dass es jemanden geben konnte, der Unlauteres im Schilde führte; so kam es, dass in der Tischlerei am Rande des Dorfes große Armut herrschte. Die Holzschindeln des Daches waren über und über mit Moos und Flechten bezogen. Wenn es regnete, fielen manchmal blau schimmernde Tropfen in die Küche, so dass die Frau des Tischlers sie mit allen Töpfen, die sie besaß, auffangen musste, und die Hauswand war von so vielen Löchern durchsetzt, dass eine ganze Familie von Fledermäusen darin Unterschlupf fand. Jeden Tag klagte die Frau des Tischlers über die säumigen Kunden, während Józef bei jedem Auftrag fest davon überzeugt war, diesmal bezahlt zu werden.
     
    Mehr Sorgen als das undichte Dach und die Klagen seiner Frau bereitete Józef allerdings sein Sohn. Obwohl dieser bei ihm in die Lehre gegangen war und ihm tagtäglich in der Tischlerei aushalf, verbrachte er seine freie Zeit am liebsten damit, stumm im Garten zu sitzen und eine lahme Wildkatze zu zähmen, die er im Wald gefangen hatte. Manchmal leistete ihm Magda, ein junges Mädchen aus dem Dorf, dabei Gesellschaft.
    Wenn es mir gelingt, die Katze zu zähmen, sagte Kazimierz, dann heirate ich dich.
    Das Mädchen kicherte und beobachtete, wie er selbstgemachte Filzmäuse vor dem Eingang der Hütte umherflitzen ließ.
    Gerade, als sich eine Pfote der Wildkatze ein paar Zentimeter aus der Hütte hervorgeschoben hatte, fiel der Schatten seines Vaters auf sie, und die Pfote verschwand wieder.
    So, nun reicht es aber, sagte Józef Mysza und hob die kleine Hütte hoch. Die Katze zuckte zusammen und humpelte in eine entlegene Ecke

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