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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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verspricht. So oder so wird es aus Bartosz’ Besitz stammen, weiß der Teufel, wo er es versteckt hatte, am Ende handelt es sich sogar um
dieses eine Gewehr
.
    Vorhin, als Bronka ins Zimmer kam und wortlos einen Teller geschmierte Brötchen hinstellte, war es jedenfalls noch nicht da, und in all den Monaten zuvor sowieso nicht, darauf hatte Bronka geachtet: keine Waffen im Haus, sogar alle Messer in der Küche mussten stumpfsein, nicht auszudenken, was wäre, wenn sich der Junge etwas antun würde. So etwas geschah doch vor allem bei denen, die sich nicht helfen lassen wollten. Unfassbar: Überlebten den Wahnsinn in der Wüste, nur um sich daheim in Mutters Küche ins Gemüsemesser zu stürzen.
    Wenn sie glaubt, dass ich die Waffe anrühren werde, hat sie sich geirrt. Ich stopfe die Brötchen stückchenweise in meinen Mund und lasse das Gewehr dabei nicht aus den Augen. Als könne es ein Eigenleben entwickeln und plötzlich auf mich zeigen, ja, vielleicht spekuliert Bronka darauf: dass ich den Kopf verliere und schwallartig alles von mir geben werde, vor allem natürlich die entscheidenden Hinweise darauf, was mit Bartosz und Renia geschehen ist, wo sie sich nun aufhielten. Als hätte ich ihr nicht mittlerweile tausend Mal gesagt, dass ich es nicht wisse, dass ich mir auch nicht erklären könne, was passiert sei, dass es kein heimliches Versteck gebe, in dem ich die beiden festhalten würde, wozu denn auch. Es scheint, dass sie noch immer nichts aus Albina herausbekommen hat.
    Es ist früh am Morgen, vor dem Fenster wird es erst grau, dann milchig, dazwischen höre ich Bronka in der Wohnung herumgehen, vorhin, glaube ich, hat sie mit jemandem telefoniert, vielleicht hat sie dabei geweint, ich habe es nicht genau gehört. Vom Sitzen und Liegen schmerzt mir der Rücken, aber ich wage nicht, ihr zu sagen, dass sie mich gar nicht festhalten bräuchte, um zu erfahren, was ich wüsste; was ich weiß, könnte ich genauso gut in einem Café in der Innenstadt festhalten, könnte zwischendurch am Fluss joggen gehen und einen geräucherten Fisch essen, das alles würde mich überhaupt nicht ablenken, ganz im Gegenteil.
    An einem der Schlösser wird gedreht, ich stehe auf und schlucke rasch das letzte Stück Brötchen herunter. Bronka steht in der Tür, ihre Augenringe sind vom durchdringenden Dunkelblau einer Sommernacht. Sie hat noch weniger geschlafen als ich.
    Ich weiß nicht, was ich seinem Vater sagen soll, sagt sie leise, und ich antworte ebenso leise, dass sie doch einfach die Wahrheit sagen könne, überhaupt, was sei denn daran so schlimm, dass ein junger Mann mit seiner Freundin verschwindet, das sei sicherlich nicht zum ersten Mal passiert. Da weiten sich Bronkas Augen, und sie schmeißt mir das Heft entgegen, das ich ihr gestern Abend durch die Tür geschoben hatte.
    Eine Mutter habe im Gefühl, wenn mit ihrem Kind etwas nicht stimme, das habe sie sogar gespürt, als Bartosz im Krieg war, und jetzt stimme ebenfalls etwas ganz und gar nicht.
    Ich drehe mich um, zum Fenster, und sage, dass ich alles aufschreiben werde, was ich weiß, über das letzte Jahr, über Bartosz. Vorher aber müsse es über hundert Jahre zurückgehen.
     

    Es war einmal eine Spinne, die schlüpfte aus ihrem Ei und wuchs und spann, fing und fraß. In einem unachtsamen Moment wurde sie von einem Tropfen Harz überrascht, der den Baumstamm, auf dem sie lebte, hinabglitt und sie einschloss. Wo einst Land war, breitete sich ein Meer aus, dessen Stürme die Spinne in ihrem Gehäuse an sein Ufer spülten, wo sie unter dem Schutze einiger Felsen schließlich liegen blieb. Nach Jahrmillionen entstand ganz in ihrer Nähe eine Siedlung, später ein Dorf, undschließlich eine Stadt, in der es viel zu hören und sehen gab, aber davon will sie nicht erzählen.
    Eines Tages flog eine Elster über die Felsen, und weil die Sonne besonders hoch und besonders günstig stand, reichte der Schimmer des Bernsteins bis hinauf in den Himmel und ins Auge der Elster. Einmal aus seinem Versteck hervorgescharrt und sicher im Schnabel verwahrt, flog er mit der Elster weit hinfort, tiefer hinein in das Landesinnere. Und wäre er der Elster nicht über einem kleinen Flusslauf aus dem Schnabel geglitten, hätte er seinen Weg in ihr Nest gefunden. So aber waren es nicht die Nachkommen der Elster, die sich an dem Stein erfreuten, sondern die eines jungen Tischlers, der ihn aus dem Fluss holte.
    Der junge Tischler, der den Bernstein barg, hieß Kazimierz Mysza und war der

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