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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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der eine Maus zerteilte. Als ich das nächste Mal aufwachte, war der Uhu verschwunden, und an seiner Stelle schwebte Großmutter, ich sah sie mit eigenen Augen, wie sie da in ihrem graugrünen Kleid dreißig Zentimeter über dem Heu schwebte und mindestens genauso große Augen machte wie ich. Renia, meine Renia flüsterte sie, und ich dachte, gleich würde ich ohnmächtig werden, wurde ich aber nicht, ich hatte zu viel damit zu tun, mich über das Kleid zu wundern, das sie trug, absurd war das doch, Großmutter, die seit fünf Jahren tot war, weit weg auf einem Friedhof in Nordpolen lag und jeden Sonntag ihren Wiesenblumenstrauß auf die Grabplatte bekam, Großmutter, die nichts so wenig durfte, wie auf dieser Welt erneut zu erscheinen, lächelte und sagte: Renia, mein Kind, du bist ja verrückt geworden.
    Großmutter schwebte ungehalten etwa zwei Meter entfernt vor mir, ihre Arme hatte sie vor der Brust verschränkt, dann sagte sie ganz leise, fast ein bisschen traurig, dass ich diesen Ort verlassen und nach Polen zurückkehren müsse, dort würde etwas Besseres auf mich warten, und außerdem, sagte sie, sei es eine Schande, dass sie sogar nach ihrem Tod auf mich achtgeben müsse. So, sagte sie, haben wir nicht gewettet, mein Mädchen, aber jetzt sieh erst einmal zu, dass du aus diesem Land verschwindest.
     
    Während des Mittagessens saß Bartosz neben mir und schmatzte. Ich hatte plötzlich Kopfschmerzen, vielleicht von der Farbe oder vom Staub, vielleicht aber auch aus ganz anderen Gründen. Bronka schluckte den letzten Bissen hinunter und ordnete an, dass man am Nachmittag den Flur und die anderen Zimmer wiederherstellenwürde, für die Küche und das Badezimmer bleibe wahrscheinlich keine Zeit mehr, diese Räume müsse man auf morgen verschieben. Morgen habe ich keine Zeit, sagte Renia sofort und blinzelte mir zu. Bronka zog sich ihren BH unter dem lilafarbenen Pailletten-Pullover zurecht und antwortete, dass es ihr ganz gleich sei,
ihr
Zimmer könne man auch auslassen. Ihre Augen funkelten.
    In jedem Fall müsse man vor dem Wochenende fertig werden, da nämlich gehe es hinaus: Die Familie mache eine Landpartie, hinaus zur familieneigenen Hütte. Brunon werde vor Ort auf sie warten. Bronka schluckte ein Stück weichgekochte Kartoffel hinunter. Du kommst auch mit, Kinga. Da kannst du mal sehen, woher deine Familie kam, bevor sie zu Städtern wurden.
    Weiß Vater, dass sie dabei sein wird? Bartosz stand auf und wusch sich die Hände mit dem Geschirrspülmittel ab. Von der Öffnung des Fläschchens lösten sich ein paar Seifenblasen und irrten in der Küche umher, bevor sie zerplatzten.
    Nein, sagte Bronka. Natürlich nicht. Ich werde ihn schonend darauf vorbereiten. Wenn sich die Gelegenheit bietet. Aber wie gesagt: Kein Wort über die Wohnung.
    Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter, schwer und feucht lag sie da, ich lächelte unbeholfen und sagte, dass ich mich auf keinen Fall aufdrängen wolle, ich könne genauso gut hierbleiben. Leider schüttelte Bronka ihren Kopf, und ich entging meiner Freistellung. Das müsse sein, unbedingt. Übermorgen würde er aus dem Krankenhaus entlassen werden, und die Ärzte hätten ihm zu frischer Luft geraten. Ich würde doch mitkommen, nicht wahr?
     
    Als die Tür hinter den beiden zufiel, atmete ich auf. Es war bereits später Nachmittag, ein letzter Rest warmen Lichts flackerte durch das Küchenfenster herein und wärmte meinen Nacken. Noch immer hingen der Geruch von der Farbe, Bronkas Parfum und Bartosz’ Schweiß in der Luft, ich nieste und öffnete die Fenster. Viel Spaß dann noch, hatte Bartosz gesagt, als er gegangen war, und ich hatte mich schnell bedankt. Er hatte bloß mit den Schultern gezuckt und war seiner Mutter gefolgt, die laut über den Zustand der Treppe geschimpft hatte.
    Renia hatte sich zurückgezogen, und so war es an Albina hängengeblieben, mich zu unterhalten und mit mir ein Glas bulgarischen Weins zu trinken, der so süß war, dass er in der Kehle kratzte. Alles Küchengerät stand in Kisten verpackt um uns herum, unsere Hände schmerzten, und mir wollte partout nicht einfallen, worüber wir reden konnten. Bis auf die Wohnung hatte ich nicht besonders viel mit Albina gemeinsam. Renia hatte nur gesagt, dass sie Künstlerin sei, und jetzt, als ich ihre Hände betrachtete, merkte ich, dass sie nicht nur rot und trocken waren wie meine, sondern so grob und fleischig, als würde sie jeden Tag mit ihnen arbeiten.
    Ich fragte sie, was sie genau mache,

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