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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Schild von so nah, dass sie die Wand riechen konnte: Kalk, Schimmel. Kaum einen Meter weiter schlossen die Fenster des Ladenlokals an, matte Scheiben, eine davon zerbrochenund mit Packband wieder zusammengeklebt. Spinnweben darüber, graue, klebrige Substanz, die sich nicht fortstreichen ließ. Drinnen, soweit sich das in der Dunkelheit erkennen ließ, hingen Blätter mit Zeichnungen an den Wänden, Werkzeuge, kleine Schnitzereien und Holzstücke lagen auf den Tapeziertischen.
    Stand übrigens genau wie du gerade vor der Tür, bevor er dann endlich reingegangen ist. Renia schloss die Tür auf, kühle, feuchte Luft strömte aus dem Treppenhaus, es roch nach lackiertem Holz und alten Fußabtretern. Kinga drehte ihren Kopf so rasch zur Seite, dass es knackte.
    Was? Mein Vater war hier?
    Ja, antwortete Bronka. Vor ein paar Jahren, auf Marians Beerdigung. Uns hat er gesagt, du hättest keine Lust gehabt, ihn zu begleiten.
     
    Als sie die Wohnung betraten – sie lag im ersten Stock, direkt über dem Ladenlokal – behauptete Bronka, einen Migräneanfall zu bekommen, denn der Zustand, in dem sich die Wohnung befinde, sei tatsächlich noch schlimmer als vor zwei Jahren, als sie sie das letzte Mal betreten habe. Teile des grauen, aufgeplatzten Parketts bogen sich nach oben oder hatten sich gänzlich abgelöst und rutschten als Klötzchen hin und her. Die Feuchtigkeit hatte die Wandfarbe rissig gemacht, so dass sie in den Ecken abblätterte. Eine Kletterpflanze wucherte vom Flur aus in die Küche, zum Fenster hin, und bedeckte den oberen Teil der Wände mit ihren Blättern, an die jemand, in unregelmäßigen Abständen, Weihnachtskugeln gehängt hatte.
    Die Wohnung hat drei Zimmer, sagte Renia und öffnete die Türen, die vom Flur abgingen. In dem hier wohne ich– sie zeigte in ein helles Zimmer, auf dessen Boden ein paar Perserteppiche übereinander und Kissen wahllos verteilt lagen –, und hier wohnt meine Mitbewohnerin.
    Sie klopfte, und als sich nichts rührte, öffnete sie die Tür und zeigte einen Raum voller Skulpturen, Figurinen und Zeichnungen.
    Das dritte ist sozusagen unser Haushaltszimmer. Ist ziemlich klein. Kinga nickte und stellte ihre Tasche neben der Tür ab. Die Gegenstände in der Kammer türmten sich so hoch, dass man kaum das Fenster sah. Es roch muffig. Kinga erinnerte sich an die Mäuse und das Ungeziefer im Fachwerkhaus, in welchem sie mit ihrem Vater gewohnt hatte, und schüttelte den Kopf. Das letzte Mal, dass sie so ein Durcheinander gesehen hatte, war in der Werkstatt ihres Vaters gewesen. Noch konnte sie sich nicht vorstellen, in diesem Zimmer für mehrere Monate zu wohnen, und noch viel weniger konnte sich sich vorstellen, dass sie nach knapp einem Jahr behaupten würde, es habe sich nicht um eine Rumpelkammer gehandelt, sondern es habe einem gewissen Rokas Juknewitschius gehört, einem litauischen Künstler, der angeblich großen Einfluss gehabt hatte auf die Geschehnisse jenes Jahres.
    Als Renia die Tür wieder schloss, nahm Kinga den Geruch von Zitronenbuttermilch wahr, den Renias Nacken verströmte, und am liebsten hätte sie ihr Gesicht in der Mulde zwischen ihrem Hals und ihren Schultern vergraben.
    Wir hätten uns mehr kümmern sollen. Bronka schlug die Hände über dem Kopf zusammen und seufzte. Aber wie dumm das war: Nicht ganz unser und nicht ganz euer, was sollte man denn davon halten?
    Sie ging hinüber in die Küche und ließ sich auf einenStuhl fallen. Kinga trat ans Küchenfenster und untersuchte den alten Schließmechanismus. Mit beiden Händen hielt sie sich am Fensterbrett fest und überlegte, ob es stimmen konnte, was Bronka gesagt hatte, dass Emmerich hiergewesen war, vor ein paar Jahren, oder ob sie sie nicht anlog, aus welchen Gründen auch immer. Plötzlich war es ihr unangenehm, von Bronka gerettet worden zu sein, sich mit Kartoffelsalat zum Frühstück gefüttert haben zu lassen, sogar die Brote hatte sie ihr geschmiert. Und dann die Wohnung: Eigentlich hatte sie von der Miete ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen. Auch wenn sich das als unmöglich herausstellen sollte, ärgerte sie der Gedanke, dass die Myszas darauf spekulierten, die Wohnung überschrieben zu bekommen.
    Im Zwischenraum der beiden Glasscheiben tummelten sich mehrere Bienen, die vor dem kühlen Wetter geflohen waren. Kinga wandte sich ab. Renia befüllte gerade einen Teekessel mit Wasser und stellte ihn auf den Gasofen. Verständig kam sie ihr vor, als würde sie mit ihr fühlen, als könne sie

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