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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Wohnungstür. Es war dunkel im Flur. Gerade, als ich angenommen hatte, Renia sei schon ausgeflogen, hörte ich aus ihrem Zimmer eine Stimme, die nicht ihre war. Mein Oberkörper sackte nach vorne, das da, das war die Stimme meines Vaters, und das war der Moment, wo ich wirklich dachte, so, das war’s, jetzt werde ich verrückt. Mit feuchten Handflächen näherte ich mich Renias Tür und stieß sie vorsichtig auf.
    Vor mir, auf einem Kissen im Schneidersitz, saß Renia, stierte durch mich hindurch und sagte: Tochter.
     

    Kühle, rauchige Herbstluft lag über den Dächern der Stadt. Der erste Frühnebel des Jahres hatte sich bereits verzogen und der matt funkelnden Sonnenscheibe Platz gemacht, die die ersten Spaziergänger auf den Plan und hin zu den gerade öffnenden Cafés rief. Dick in ihre Decken eingewickelt, saßen sie vor den Lokalen und hielten dampfende Tassen in ihren Händen. Die Wärme des Tages ließnoch auf sich warten, und sogar auf der Terrasse des Café Barbados froren zwei ältere Ehepaare, die, um sich abzulenken, aufmerksam die Parade der Bernsteinstände verfolgten: Wägelchen für Wägelchen wurde aus den Geschäften herausgeschoben und den Passanten in den Weg gestellt, Wülste von Ketten wurden sorgsam an die Rahmen gehängt und die besonders großen Solitäre poliert. Zusammen mit der Sonne waren auch die Desperados der Stadt gekommen und besetzten die Bänke und Poller: Der Klang von Didgeridoos, Wellensittichen und Beatles-Imitatoren umgab die Fassaden der Patrizierhäuser, drang ein in die Vorhallen der Hauptpost, des Fünfziger-Jahre-Kinos und der Lebensmittelgeschäfte und erreichte schließlich auch die etwas weiter abseits stehenden Verkäufer von Fellhausschuhen, Schlüsselanhängern, Magneten und Dosenöffnern mit Stadtmotiven.
    Ein paar hundert Meter weiter buk der Waffelbäcker die erste Waffel des Tages, und pünktlich, als hätten sie sich verabredet, traf die erste Gruppe der Kreuzfahrtreisenden zusammen mit dem stadtbekannten Vagabunden ein, der durch die Straßen zog und wüste Beschimpfungen ausstieß. Der Waffelbäcker winkte ab, als er sich ihm näherte, und als auch die Aufforderung, zu gehen, nichts brachte, warf er ihm eine Sauerkirsche gegen das Revers. Das Schauspiel lenkte die Touristen ab, eine Frau kaufte die erste Waffel des Tages und bestellte dazu Marillensauce, die Führerin der Gruppe – eine Russin mit knallrotem Regenschirm, den sie in die Luft stieß – seufzte und blickte auf die Uhr des Rathauses, dann scharte sie ihre Gruppe um den Brunnen. Vom Fluss her drang die Melodie eines Akkordeons, der Vagabund fluchte vergnügt und wankte hinab ans Ufer, undgerade, als sich die Gruppe am Brunnen wieder in Bewegung setzte, lösten sich zwei Frauen aus ihrer Mitte, die sich untergehakt hatten und auflachten, als der Vagabund ihren Schritt nachmachte und ihnen die Sauerkirsche präsentierte.
    Die Kirsche der ewigen Jugend, sagte er und verbeugte sich graziös. Schon hatte die schönere der beiden Frauen ihre rechte Hand ausgestreckt, da baute sich neben ihnen ein Mann auf, der den Vagabunden beiseiteschob und die Frauen begrüßte.
    Renia, sagte er, ich bin entzückt. Er küsste ihre Hand und ließ sich genüsslich eine von ihren langen dunkelbraunen Haarsträhnen über das Gesicht streifen. Renias Augen leuchteten an diesem Morgen erbsengrün, sie schien geschmeichelt zu sein. Widerstrebend löste Kröger seinen Blick von ihr und wandte sich der anderen Frau zu.
    Und wen haben wir hier?
    Ein armes Burgfräulein, das sich selber nicht beschützen kann, sagte die andere Frau und fügte hinzu: Kinga Mischa. Mit hochgezogener Augenbraue musterte sie den Kugelschreiber, den sich der Mann hinter das linke Ohr gesteckt hatte, außerdem die Kladde, die unter seinem Arm steckte und in der er bis eben noch Zeichnungen angefertigt und Notizen eingetragen hatte.
    Und was hat das Burgfräulein in diese Stadt getrieben?
    Kröger hatte die richtige Frage gestellt. Anstelle einer Antwort wich Kinga seinem Blick aus und biss ein Stück ihres Daumennagels ab. Wie grobschlächtig sie neben Renia wirkte und wie deutsch: in ihren ausgeblichenen Jeans, dem olivgrünen Anorak und der Mütze, die wie ein Wischmop aussah. Renia klaubte sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht.
    Du hast doch bestimmt zu tun, oder nicht? Wir sind leider etwas in Eile, sagte Renia mit ihrem wunderbaren Akzent und ignorierte Kingas überraschten Blick: Du sprichst Deutsch?
    Kröger lachte auf, diese

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