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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Spielchen kannte er. Renia, Renia, sagte er, du führst uns alle an der Nase herum!
    Da zierte sich Renia plötzlich wie ein junges Mädchen, drehte ihren Kopf zur Seite, strich sich die Haare hinters Ohr und gab ihm schließlich einen Stups gegen die Schulter. Kröger lachte.
    Viel Glück!, rief er Kinga hinterher. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Kröger tippte sich an die Mütze.
    Vielleicht war ihr in diesem Moment eingefallen, wie sie ihre nervösen Zustände nutzbar machen konnte: Wie interessant das doch wäre, Gedanken wirklich lesen zu können! Wie die Seher im alten Babylon würde sie die Geschicke der Menschen lenken können und Macht über sie ausüben. Schwierig könnte das doch nicht sein, denn im Prinzip denke jeder Mensch an dieselben drei Sachen, allerhöchstens in unterschiedlicher Reihenfolge, und die sind: was er haben, mit wem er schlafen und was er essen kann.
    Was war das denn? Kinga steckte die Hände in ihre Anoraktaschen. Tilmann Kröger, sagte Renia. Sie hatten gerade das Tor zum Fluss passiert und waren vor dem Akkordeonspieler stehen geblieben, Renia ließ eine Münze in seinen Becher fallen. Sie lehnten sich gegen das Geländer und blickten hinunter ins Wasser. Ein weißes Schnellboot lag dort, ein Pärchen saß an Deck, trank Champagner und gab sich größte Mühe, die Blicke der Passanten am Ufer zu übersehen.
    Ist seit kurzem in der Stadt, ein Schriftsteller. Aber wasinteressiert’s dich denn? Kinga schüttelte den Kopf und antwortete, dass sie es bloß wundern würde, immerhin habe Renia ihm ja verraten, dass sie Deutsch spreche, also habe er anscheinend etwas besser gemacht als sie. Sie spuckte hinunter ins Wasser.
    Du spinnst ja, sagte Renia. Und jetzt komm, wir wollen uns einen Fisch kaufen, da hinten kann man sich gut hinsetzen und sich streiten, wenn man möchte, aber alles andere auch. Kinga rollte mit den Augen, aber Renia strahlte sie an, und da wurde sie weich und folgte ihr zu der kleinen Räucherbude.
    Die Stufen, die zum Ufer führten, waren von der Sonne aufgewärmt und einigermaßen sauber. Nachdem die Makrelen verspeist waren, legte sich Kinga flach auf den Boden, spürte die Wärme der Steine gegen ihren Rücken und dachte über die kommenden Tage nach, den Ausflug in die Kaschubei, die klamme Wohnung, in der sie unter anderen Umständen keine Sekunde länger als nötig bleiben würde. Unter anderen Umständen. Renia leckte sich gerade die fettigen Finger ab und streckte sich. Ihre Jacke öffnete sich, eine dünne Bluse kam zum Vorschein, darunter wölbten sich ihre apfelgroßen Brüste gegen den Stoff. Sie band sich ihre Haare zu einem Dutt hoch und legte sich schließlich ebenfalls auf den Boden, den Kopf auf Kingas Bauch gebettet.
    Ich hab’s nicht so mit Familie, sagte sie, als Kinga schon dachte, sie sei eingeschlafen. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass ich deutsche Vorfahren habe, da bin ich dann rüber, weil ich dachte, da würde was besser werden.
    Kinga entwirrte eine Strähne aus Renias Haar, in der sich ein Blatt verfangen hatte, lud sie mit sanften Berührungen dazu ein, fortzufahren, aber Renia schwieg, alshätte sie niemals etwas gesagt. Unter ihren Lidern zuckten die Pupillen hin und her.
    Komm, wir gehen, sagte Kinga plötzlich. Du wolltest mir doch noch was zeigen.
     
    Der Turm lag vor den Toren der Stadt. Oder besser gesagt: zwischen den Toren der Stadt, denn sicher war sicher, und so hatten die Bürger einst mehrere Tore hintereinander errichtet.
    Gegen Mittag gab es in den Gassen kaum ein Durchkommen. Mehrere Schulklassen schoben sich an den Häusern vorbei, warfen sehnsuchtsvolle Blicke auf die Softeisverkäufer und blieben immer wieder stehen. Ein paar Männer von der Miliz bahnten sich ihren Weg an den Schülern vorbei, Schweiß stand ihnen auf der Stirn. Mein Gott, sagte Renia, als sie von einem übergewichtigen Sechstklässler zur Seite gedrängt wurde. Wenn man sich vorstellt, dass es Leute gibt, die jeden Tag diesen Weg zur Arbeit gehen müssen, ein Alptraum.
    Da bildet sich gerade ein Gang. Da vorn.
    Wo?
    Kinga schob Renia vorwärts, und als die Leute zur Seite wichen, fielen sie in einen Laufschritt und kamen keuchend im Innenhof der Toranlage an.
    Apropos, Kinga holte tief Luft und stemmte die Arme in die Seiten, was hast du eigentlich für verrückte Arbeitszeiten? Das wolltest du mir neulich erzählen.
    Mach ich oben. Renia stieg schnell die schmale Treppe hoch, die zur Kasse und zum Museum führte. Eigentlich hatte sie

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