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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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und da trank sie in einem Zug ihr Glas leer und sagte: Komm mit, ich zeige es dir.
    Auf dem Weg über die Treppe fragte ich, wo Renia geblieben sei, und Albina antwortete, dass sie sich auf ihren Einsatz vorbereite, so nannte sie es: ihren Einsatz. Und dann redete sie so schnell weiter, dass ich mich nicht traute nachzufragen, um was für einen Einsatz es sich denn handle. Mir fiel auf, dass ich gar nicht wusste, womit Renia ihren Lebensunterhalt verdiente.
    In der Werkstatt hing eine einzige, nackte Glühbirne von der Decke. Als Albina sie anknipste, stoben Motten auf und schwirrten umher, ihre Flügelchen waren wie alles in dem Raum überzogen mit einer hauchdünnen Schicht Staub, auf dem Boden lagen Zeitungen ausgebreitet, auch russische und litauische waren darunter, in den Staub auf den Fensterscheiben hatte jemand ein paar fremde Wörter geschrieben.
    Albina steckte einen Pinsel, der aus einem Krug mit Utensilien gefallen war, wieder zurück. Sie sei Bildhauerin, sagte sie, und die Myszas hätten ihr die Werkstatt als Atelier überlassen. Übrigens: Wann immer ich mal bei den Myszas zu Besuch eingeladen werde, müsse ich auf den Schrank in der Diele achten, der sei von meinem Urgroßvater angefertigt worden.
    Ich glaube, das kann noch dauern, sagte ich. Streng genommen gehöre ich auch nicht zu dieser Familie. Ich heiße Mischa. Die da heißen Mysza. Verstehst du?
    Ich ging an der Reihe von Skulpturen entlang, die vor der Fensterscheibe standen: kleine, dickliche Wesen mit kaum erkennbaren Gesichtern und Gliedmaßen. Ich fragte mich, ob sie schon vollendet waren oder sich in irgendeinem larvenartigen Stadium befanden. Im Nachhinein beglückwünschte ich mich, den Mund gehalten zu haben, denn als Albina meinen Blick bemerkte, baute sie sich neben ihnen auf und sagte, dass es sich hierbei um eine zeiten- und kulturenübergreifende Skulpturensammlung handele, das hier nämlich seien Steinbaben, Nachbildungen der alten prußischen Gottheiten. Demnächst plane sie eine Ausstellung, und dann nämlich könnten alle Myszas, Mischas, Meiers und Müllers einmal sehen, wem diese Gegend hier eigentlich gehörte, kulturell: den Prußen nämlich. Ich hockte mich auf denBoden und sah einer der kleinen Gestalten ins Gesicht, blickte auf die zusammengekniffenen Augen, den aufgeworfenen Mund und die Pekinesennase, die über ihm thronte.
    So etwas, sagte ich, und ich dachte, die Prußen wären ausgestorben. Albina winkte ab und sagte, Rokas hätte zwar dasselbe gesagt, aber hier gehe es doch gar nicht um ausgestorben oder nicht ausgestorben. Hier gehe es ums Prinzip. Dann erzählte sie von prußischen Silben in heutigen polnischen Ortsnamen, aber das, dachte ich, hatte mit mir ungefähr genau so viel zu tun wie alte Schränke.
    Ich unterdrückte ein Gähnen und fragte endlich, was Rokas eigentlich für ein Name sei, ein prußischer vielleicht? Albina runzelte ihre Stirn und erwiderte, dass er selbstverständlich Litauer und mit einem Stipendium in der Stadt sei. Von einem Mäzen gefördert, der lieber anonym bleiben wolle, Rokas aber fürstlich für seine Arbeit entlohne.
    Albinas Augen fingen an zu glänzen, als sie von ihm erzählte, Rokas, sagte sie, sei eine Jahrhunderterscheinung, es sei eine große Ehre für sie, dass sie ihm behilflich sein dürfe, wann immer er eine Aushilfe brauche, und wer brauche das nicht, wenn er versuche, eine Stadt umzukrempeln, nicht wahr, seine Kunst sei irgendwie, sagte sie, und ich hätte beinahe laut aufgelacht:
paramilitärisch
. Die Stadt solle sich besser auf eine Attacke gefasst machen. Richtig in Rage hatte sie sich geredet, ihre Wangen glühten, fahrig tastete sie über ihre Ärmel und griff schließlich zu einem groben Pinsel, mit dem sie einer Babe über das Gesicht fuhr. Kämpferisch, sagte sie, das könne man auch sein, wenn man nicht in den Irak fuhr und den Frieden brachte, ha, denFrieden. So jemandem wie Bartosz fielen doch nur Panzer und Maschinengewehre ein, das liege wahrscheinlich in der Familie, dieses Kriegerische – nicht wahr? – aber ein Künstler kämpfe nun einmal mit anderen Mitteln.
    Ich glaube, ich gehe jetzt besser nach oben, sagte ich und atmete erleichtert auf, als Albina nichts erwiderte. Ihr Redefluss war versiegt, sie hatte sich in die Nase eines Männchens vertieft.
    Müde stieg ich die Treppe nach oben, überzeugt davon, dass es in diesem Haushalt definitiv sonderbarere Gestalten gab als mich. Paramilitärisch. Ich lachte leise und schloss hinter mir die

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