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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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begannen die Ersten zu klatschen. Man war sich nicht ganz sicher, was geschehen war, aber dass etwas geschehen war, stand außer Frage. Schließlich drangen vereinzelte Bravo- und Zugabe-Rufe aus den hinteren Reihen und rissen die restlichen Zuschauer mit. Kröger, der Bartosz nachdenklich hinterhergeschaut hatte, erwog kurz, ob auch er das Varieté verlassen konnte, wollte aber nicht die Vorstellung stören und entschied sich, sitzen zu bleiben.
    Kinga trat unschlüssig von einem Bein auf das andere, als sie die Zugaberufe hörte. Als Maya ihr zuwinkte, dasssie fortfahren solle, setzte sie sich wieder an den Rand der Bühne, kniff die Augen zusammen, rutschte umher und bat schließlich darum, dass die Scheinwerfer etwas gedimmt würden, da sie niemandem im Publikum ins Gesicht sehen könne, was unerlässlich sei. Sofort verdunkelte sich die Bühne. Kinga ließ ihren Blick schweifen. Als sie bei Kröger ankam, begannen ihre Augen zu glitzern und fixierten ihn: den talentierten, aber leider unterschätzten Schriftsteller Tilmann Kröger, der arglos an seinem Getränk nippte und im Geiste mit dem Abend bereits abgeschlossen hatte.
    Genauer genommen fragte er sich, warum er auch an diesem Abend nichts Besseres hatte finden können, um sich zu zerstreuen. So viele Male war er bereits hiergewesen, kannte alle Darsteller und ihre Tricks, konnte Demoiselle Mayas Texte beinahe auswendig mitsprechen, und wenn es ein Getränk auf dieser Erde gab, das er nicht ausstehen konnte, dann war es Martini, mit oder ohne Olive, ganz gleich. Von der stickigen Luft im Zuschauerraum bekam er Kopfschmerzen, von manchen der Darbietungen Migräne, es verging kaum ein Tag, an dem er nicht das dürftige Angebot an anständigen Kneipen in der Stadt verfluchte. Wenn er wenigstens eine Alternative gehabt hätte an diesem Abend, vielleicht hätte er sie ergriffen, vielleicht wäre er woanders hingegangen und wäre nicht so schändlich bloßgestellt worden, wie es dann geschehen war.
    Da haben wir ihn ja, sagte Kinga. Den Kröger. Den stadtbekannten Schreiberling, der alleine seinen Abenden nichts Künstlerisches abringen kann. Schade eigentlich. Vor allem, wenn man weiß, wie sehr es ihn pressiert, zeitlich. Schon zwei Monate ist er hier und hat noch immer nichts geschrieben.
    Kröger setzte sich gerade hin, eine Frechheit war das, eine Unverschämtheit. Er runzelte seine Stirn und versuchte mit einer dezenten Geste Kinga zu bedeuten, doch still zu sein, zu schweigen, jemand anderen aufs Korn zu nehmen. Vielleicht war ein weiterer Soldat unter den Zuschauern, die Nummer mit dem Skorpion und dem Krieg war doch so gut angekommen. Sie aber ignorierte sein hilfloses Mienenspiel, seine raschen Handbewegungen. Wieder setzte sie an.
    Dabei hätte er allen Grund, sich zu beeilen, Tag und Nacht an seinem Schreibtisch zu sitzen und an seinem Manuskript zu arbeiten, dem großen, epochalen Werk über die Stadt am Meer, so, wie er es seinem Verleger versprochen hat, vor ein paar Wochen in dessen Büro … tief in seinen Sessel ist er damals gerutscht, ungefähr so wie jetzt, aber gesehen hat man ihn trotzdem, vor allem, wenn man wie sein Verleger genau vor ihm saß und ihm ins Gesicht hinein sagen konnte, dass sich sein letztes Buch irrsinnig schlecht verkauft hatte, und dabei hatte es sich um einen durchaus vielversprechenden Thriller gehandelt, in den sogar eine Liebesgeschichte hineingewoben war.
    Tilmann hat gestammelt vor Aufregung, als er seine Idee für den nächsten Roman vorgebracht hat. Von einer Stadt am Meer sollte der handeln, einer etwas sonderbaren Protagonistin, außerdem von einer ungewöhnlichen Familiengeschichte. Der Verleger hat sich nachdenklich die Koteletten massiert und schließlich zugesagt. Ein halbes Jahr hat er Tilmann gegeben, das erste Drittel des Romans abzuliefern.
    Dann erst wird man über einen Vorschuss verhandeln. Noch so einen Flop wie mit dem letzten Buch kann sich ein so kleiner Verlag nicht erlauben. Da musserst eine Schreibprobe her, der Beweis dafür, dass es Tilmann Kröger gelingt, ein Gespür für die Stadt zu entwickeln. Das ist die Mission. Und, Tilmann, wie läuft es?
    Unendliche Schmach, als Künstler so bloßgestellt zu werden, verballhornt und verlacht, belächelt von diesen zweifelhaften Artisten, sogar der Zwerg lachte, dass ihm der Zylinder vom Kopf fiel. Als könnten sie auch nur ahnen, was es hieß, Schriftsteller zu sein, täglich mit sich zu ringen und sich das Äußerste abzuverlangen, in der Stadt

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