Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
Vom Netzwerk:
es zu verdanken, dass sie außerdem ein paar junge Linden gepflanzt und sich außerordentlich beliebt gemacht hatten bei den Anwohnern der Gegend –, hatte sich die Stimmung verändert.
    Eines Mittags, nach einem eisigen Lauf über den Strand und die Dünen, als die Kompanie ein Lagerfeuer entzündet und die ersten Kartoffeln in die heiße Asche geschoben hatte, begann Heinz Segenreich von einem Buch zu sprechen, das er gerade las, und von den sogenannten zersetzenden Elementen der Gesellschaft.
    Konrad war damit beschäftigt, aus einem Stück Treibholz einen Speer zu schnitzen, deshalb achtete er kaum darauf, was Heinz sagte. Er dachte an Lilli, das Mädchen, das jeden Tag auf dem Weg zum Milchmann an seinem Fenster vorbeiging. Heute früh hatte sie ihm sogar zugelächelt. Konrads Herz klopfte schneller.
    Erst als die anderen merkwürdig still wurden, hörte er, wie Heinz Segenreich ihn vor allen Mitgliedern der Kompanie aufforderte, seine Männlichkeit zu beweisen und allem Weichlichen und Absonderlichen die Stirn zu bieten. Anfangs wollte Konrad nicht recht begreifen, dass Heinz von Marian redete. Natürlich, sein jüngererBruder war nicht gerade das, was er sich gewünscht hätte, und seit dem Vorkommnis im Wald hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, aber die Kompanie war in den letzten Jahren immer loyal Marian gegenüber gewesen, immerhin war er der Bruder des Anführers. Was also sollte diese Meuterei?
    Es stimmt, sagte schließlich Mosche Grynberg, der Zweitälteste der Gruppe. Marian hat die Kompanie blamiert und muss bestraft werden. Du bist der Anführer, Konrad. Du bestimmst, was geschehen muss. Aber es muss etwas geschehen.
    Die anderen nickten und beobachteten, wie Konrad den Speer ins Feuer schmiss. Kurz züngelten die Flammen hoch und überzogen den Stab mit einer weißen Schicht, bevor er knackend zerbrach. Als Konrad nichts sagte, schlug einer der Jüngeren vor, man könne ihn hinten im Fluss taufen, das würde meistens großen Eindruck machen, oder ihm wenigstens einen Sack über den Kopf ziehen und ihn irgendwo im Wald aussetzen.
    Nein, sagte Konrad. Wind war aufgekommen, und jetzt, da die Jungen sich abgekühlt hatten und schweißnass vom Laufen waren, fingen sie an zu frieren. Das Feuer blieb niedrig und half nur wenig.
    Du musst doch einsehen, begann Heinz, aber Konrad schnitt ihm das Wort ab und sagte: Still.
    Eine Möwe kreiste unweit des Strandes über dem Meer.
    Ich habe eine bessere Idee.
     
    Der Plan sah unter anderem vor, dass Konrad sich bei der Durchführung heraushalten und hinter dem Knallerbsengebüsch bei Oma Fiedler auf die anderen warten würde.
    Mach dir keine Sorgen, hatten sie ihm gesagt, als sieihn zur Hecke begleiteten. Ist doch klar, deinem Bruder tun wir nichts. Wirst schon sehen.
    Als die anderen verschwunden waren, ging Konrad hinüber zur Hauswand, deren rote Ziegel sich in der Sonne etwas aufgewärmt hatten. Er lehnte sich an und untersuchte seine Hosentaschen nach Tabakkrümeln, aber er fand nichts als Fusseln und Sand. Der Knoten seines Schals hatte sich gelöst und entblößte die noch immer gebräunte Haut. Konrad nahm den Schal ab, zerknüllte ihn in der Hand und versuchte, sich auf seine Wut gegen Marian zu konzentrieren und zu ignorieren, dass er sich heimlich wünschte, sein Bruder würde heute einen anderen Weg nach Hause nehmen.
    Endlich fand er doch ein paar Krümel, die er in einen Schnipsel Zeitungspapier rollen und anzünden konnte. Durch die blassen Rauchschwaden sah er, wie Oma Fiedler ihn aus dem Wohnzimmerfenster beobachtete. Im letzten Sommer erst hatte die Kompanie auf ihre Bitte hin einen Walnussbaum im Garten gefällt, seitdem lud sie immer wieder zu Kaffee und Kuchen, was die Jungen aber jedes Mal erneut zu vergessen schienen. Konrad stellte sich gerade hin und salutierte, die Zigarette dabei in der Höhle versteckend, zu der er seine Hand geformt hatte.
     
    Das alles hatte sich vor kaum zwölf Stunden abgespielt. Was war in der Zwischenzeit mit Marian geschehen? Konrad wandte sich vom Fenster ab. Aus der Küche nebenan hörte er, wie seine Mutter das Frühstück bereitete. Er seufzte und schob die anderen diffusen Geräusche, die noch immer an sein Ohr drangen, auf das Radio, das anscheinend wieder repariert worden war.
    Seit dem Frühstück am Vortag hatte er seinen Brudernicht mehr gesehen, und er wagte nicht, sich den Zorn seines Vaters vorzustellen, sollten sie Marian verprügelt haben. Er ging einen Schritt auf Marians Bett zu,

Weitere Kostenlose Bücher