Ambra
aber es war unmöglich herauszufinden, ob er heute darin geschlafen hatte. Was hatte die Kompanie mit ihm angestellt?
Kaum eine halbe Stunde, nachdem er seine Zigarette geraucht hatte, waren die Jungs zurückgekommen, Zufriedenheit in ihren Gesichtern. An Mosche Grynbergs rechter Hand hatte die Kette mit dem Anhänger gebaumelt. Leise lachend übergab er ihn Konrad und sagte, wenn in Zukunft alles so einfach sei wie das, dann würde er sich auf dieses Leben freuen.
Konrad ließ sich auf Marians Bett fallen und betrachtete umständlich den Bernstein. Sein Vater musste sich geirrt haben, als er Marian den Anhänger geschenkt hatte, vielleicht war er betrunken gewesen und hatte seine beiden Söhne verwechselt. In jedem Fall war er es, dem der Anhänger zustand, er war es, der ihn nach seinem Vater tragen sollte, und er war es, der ihn eines Tages an seinen Sohn weitergeben würde, und nicht Marian.
Seine Mutter klopfte gegen die Küchenwand, das Zeichen, dass sie ihn brauchte oder jedenfalls seine Anwesenheit wünschte. Wie spät war es? Der kleine Wecker, der auf dem Korbstuhl neben seinem Bett lag, war in der Nacht stehengeblieben. In das wiederholte Klopfen mischten sich nun die Schritte seines Vaters auf der Holztreppe, und jetzt ließ es sich nicht länger ignorieren: Es war Zeit, zu frühstücken.
Ich komme schon!, rief er und räusperte sich, weil seine Stimme von der Kälte belegt war. Rasch faltete er seine Decke zusammen, warf sie auf sein Bett undstreifte sich einen Wollpullover über. Bevor er das Zimmer verließ, leckte er kurz an seinen Handflächen und fuhr sich über das Haar.
In der Küche war es hell und warm. Der Ofen, auf dem seine Mutter Magda Haferbrei und Grießklößchen zubereitete, glühte. Der Vater war gerade dabei, seine Socken und seine Mütze auf dem Ofensims auszubreiten und überhörte erst Konrads Frage nach seinem Bruder.
Marian?, fragte der Vater schließlich. Der ist unten, in der Werkstatt, Holz hacken. Er kommt gleich hoch.
Er hackt Holz? Magda ließ vor Verwunderung ein Grießklößchen anbrennen.
Wenn ich es doch sage. Kazimierz schenkte sich Malzkaffee in seine Blechtasse ein und rührte drei Löffel Zucker darunter.
Kam um sechs runter und fragte mich nach Arbeit. Hab gar nicht nachgefragt, dachte, es könnte ihm sonst wieder vergehen.
Konrad räusperte sich wieder, vielleicht hatte er sich im Garten von Oma Fiedler erkältet, aber lange hatte er da nicht gestanden, nein. Es war alles ganz schnell gegangen, deshalb, so dachte Konrad, konnte auch nichts Schlimmes geschehen sein, denn alles Schlimme brauchte seine Zeit. Der Vater rührte so lautstark seinen Malzkaffee um, dass Konrad überhörte, wie sein Bruder die Werkstatt verließ und hinauf in die Küche kam. Er bemerkte ihn erst, als er vor dem Küchentisch stand und die Mutter ihm einen Holzspan aus den Haaren zupfte. Marian sah aus, als hätte er die ganze Nacht in der Werkstatt verbracht: rote Augen, fettiges Haar und staubige Kleidung.
Na, sagte Konrad und versuchte den Blick seines Bruders einzufangen. Marian ignorierte ihn und setzte sichauf den Platz neben seinen Vater, wo bereits ein Teller mit Grießklößchen und Butter stand. Das Kinn auf der linken Hand abgestützt, stierte er auf die kleinen Klümpchen im Teig und bewegte stumm seine Lippen, bis sich auch seine Mutter an den Tisch setzte. Schon wollte Konrad glauben, dass alles noch einmal gut gegangen war, da fiel ihm auf, dass er keine Gabel hatte, und beugte sich über den Tisch, um die Besteckschublade zu öffnen. In dem Moment löste sich etwas von seinem Hals und rutschte hinaus auf seinen Pullover. Konrads Hand schnellte empor und griff nach dem Anhänger. Niemand schien etwas bemerkt zu haben, nicht einmal Marian.
Was hast du?, fragte Magda, als sie vom Teller aufblickte und Konrad an seinem Kragen nesteln sah.
Nichts, antwortete er. Ich glaube, ich werde krank.
Der November hatte einen Schleier aus Raureif über die gesamte Nachbarschaft gelegt, alle Bäume, Grünflächen und Gärten schienen konserviert für den Tag, an dem das Leben zurückkehren würde. Nach und nach gesellten sich zu dem Weiß des Frostes die ersten bunten Kugeln und Lichter: Die Stadt hüllte sich in ihr Weihnachtsgewand, so fern die Feiertage auch noch sein mochten. Unsere winterliche Dekoration beschränkte sich vorerst auf eine Meisenfamilie, die auf unserer Küchenfensterbank ihr Winterquartier bezogen hatte.
Nach den ersten Tagen unter Null hatten wir in
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