Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
war verständlich, denn der Anblick von giftig aussehendem, graugrünem Zeug war zuviel für mich.
»Guter Gott, was soll denn das sein?« rief ich.
»Das sind Erbsen aus der Dose«, erklärte Walter. »Verstehen Sie, Miß Peabody, das ist ein ausgezeichnetes, billiges Gemüse. Wir haben zwar auch Corned beef, Bohnen, Kohl und dergleichen, doch ich dachte, dies hier …«
»Hinauswerfen«, befahl ich und hielt mir die Nase zu. »Ihr Koch soll ein Huhn besorgen. Wenn Sie solches Zeug essen, wundert es mich nicht, daß Ihr Bruder Fieber hat. Durchfall und entzündetes Gedärm bleiben da nicht aus.«
Walter salutierte militärisch und marschierte davon. Emerson hatte sich inzwischen zurückgelegt und das Laken bis zum Kinn hinaufgezogen.
»Reden Sie schon weiter, Miß Peabody«, forderte er mich heraus. »Geben Sie ruhig Ihren Kommentar auch zu meinen anderen Fehlleistungen. Ich habe gehört, daß ich Ihnen mein Leben verdanke. Allerdings neigt Walter immer dazu, alles zu dramatisieren. Trotzdem danke ich Ihnen für Ihre aufopfernde Pflege. Aber jetzt gehen Sie.«
Das hatte ich zwar beabsichtigt, doch nun blieb ich, setzte mich auf das Bett und griff nach seiner Hand. Er entriß sie mir. »Ich will doch nur Ihren Puls fühlen«, fuhr ich ihn an. »Hören Sie auf, sich wie eine schüchterne alte Jungfer aufzuführen.«
Ein paar Sekunden lang überließ er mir sein Handgelenk, ehe er es mir endgültig entzog. »Mir wäre lieber, Miß Nightingale wäre zu Hause geblieben. Jetzt möchte es ihr jede Engländerin gleichtun. Madam, wenn Sie jetzt endlich zufrieden sind, dann gehen Sie – oder ich stehe auf.«
»Sie können heute nicht aufstehen, also bleibe ich«, erklärte ich ihm resolut. »Und glauben Sie ja nicht, daß Sie mir mit Ihren Drohungen Angst einjagen können. So hinreißend ist Ihre Anatomie ja wirklich nicht, darin gebe ich Ihnen recht; aber ich bin ganz gut vertraut damit.«
»Aber mein Pflaster!« rief er. »Was geschieht mit meinem Pflaster? Sie Teufelsweib, ich muß nachsehen, was die mit meinem Pflaster machen!«
Von seinem Pflaster hatte er auch in seinen Fieberdelirien ständig gesprochen, doch ich wußte nicht, was er damit meinte. Also fragte ich ihn.
»Mein bemaltes Pflaster«, erklärte er mir nun ruhiger. »Ich habe einen Teil von Khuenatens königlichem Palast entdeckt. Pflaster, Wände und Decken waren bemalt. Stellenweise sind diese Malereien wundervoll erhalten.«
»Gut und sehr erstaunlich. Heißt das, der Palast des häretischen Königs habe dort gestanden, wo jetzt Sandwüste ist? Khuenaten … Eine faszinierende Persönlichkeit. Oder könnte es vielleicht doch eine Frau gewesen sein?«
»Unsinn! Ein solcher Gedanke ist typisch für die Narren, die heute archäologische Forschungen betreiben. Mariette behauptet, die Nubier hätten ihn gefangen, und sie gehen davon aus …«
»Die Theorie kenne ich«, unterbrach ich ihn. »Warum sollte das nicht möglich sein? Eine solche Operation bringt bei Männern doch weibliche Züge hervor, oder nicht?«
Emerson warf mir einen seltsamen Blick zu. »So kann man’s auch sagen. Ich halte es für wahrscheinlicher, daß Khuenatens körperliche Absonderlichkeiten künstlerische Zutaten sind. Seine Höflinge und Freunde zeigen die gleichen Eigenheiten.«
»Wirklich?«
»Klar. Schauen Sie doch das hier an.« Er setzte sich auf und grapschte nach dem rutschenden Laken. Er war wirklich überaus haarig. »Dieses Grab hier gehörte einem Edelmann an Khuenatens Hof. Die Wände sind mit Reliefs im einzigartigen AmarnaStil geschmückt.«
Ich griff nach der Lampe, um sie anzuschauen, was einen Wutschrei Emersons zur Folge hatte. »Doch nicht die Lampe! Ich benütze sie nur, wenn es gar nicht anders geht. Diese Narren mit ihren Magnesiumlampen sind Vandalen, denn der fettige Rauch zerstört die Reliefs. Nehmen Sie doch den Spiegel. Wenn Sie ihn im richtigen Winkel halten, haben Sie genug Licht.«
Der Spiegel war mir vorher schon aufgefallen, und ich hatte mich gewundert, woher Emersons plötzliche Eitelkeit kam. Nun probierte ich ihn aus, unterstützt von seinen sarkastischen Kommentaren, und fand auch endlich den richtigen Winkel, so daß ich einen Moment lang den Atem anhielt.
Die Reliefs waren ziemlich flach und etwas verwittert, doch sie waren von einem Leben erfüllt, das mich tief beeindruckte. Sie schienen eine Parade oder Prozession darzustellen. Zahlreiche kleine rennende Gestalten folgten der großen des Pharaos, die zehnmal so groß war
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