Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx
Dame, allein zu speisen.«
»Ich habe nicht allein gespeist, sondern lediglich einen kleinen Imbiß eingenommen«, erinnerte ich sie und stellte mich dann vor.
»Und wer ist das da?« Die alte Dame zeigte mit ihrem Sonnenschirm in die betreffende Richtung. Ich drehte mich um. »Gestatten Sie, daß ich Ihnen meinen Sohn vorstelle«, sagte ich. »Ramses, geh zurück …«
»Ramses?« trompetete die alte Dame. »Was ist das denn für ein Name? Kränklich wirkendes Kind. Hat nicht lange auf dieser Welt.«
»Besten Dank für Ihr Mitgefühl, Madam«, entgegnete ich mit eisiger Höflichkeit. »Ich versichere Ihnen, es ist fehl am Platz. Ramses, wirst du bitte …«
Die alte Dame lenkte mich aufgrund ihres Absitzens ab. In der Tat hätte dieses Vorhaben jedes leicht erregbare Gemüt erheblich in Unruhe versetzt, schließlich wurde es von aufgebrachtem Geschrei und einer wilden Herumfuchtelei mit ihrem Sonnenschirm begleitet. Ich dachte schon, sie würde über einen der kleinen Eseltreiber stürzen und ihn plattwalzen. Schließlich war der Vorgang jedoch beendet, und die Dame sprach mich, während sie noch ihre Röcke und ihren schwarzen Schleier glattstrich, erneut an.
»Zeigen Sie mir die Pyramide, Ma’am. Ich habe einen weiten Weg auf mich genommen, um sie zu sehen, und ich werde sie sehen. Mrs. Axhammer aus Des Moines, Iowa, macht keine halben Sachen. Ich habe eine Liste …« Sie zerrte sie aus ihrer Jackentasche hervor und schwenkte sie wie eine Flagge. »Und ich kehre nicht eher nach Hause zurück, bis ich alles gesehen habe, was hier draufsteht.«
»Was ist mit Ihren Begleitern?« fragte ich. Beide hatten abgesessen. Der blasse junge Mann lehnte geschwächt an seinem Esel und rieb sich die Brauen. Die Gesichtsfarbe der Frau, die auf dem Boden zusammengesunken war, war so grün wie die Palmen im Hintergrund.
Mrs. Axhammer aus Des Moines, Iowa, (wo auch immer sich dieser barbarisch klingende Ort befinden mag) stieß das grauenvollste Lachen aus, das ich jemals gehört hatte. »Lassen Sie sie sitzen. Arme Schwächlinge, sie können mit mir nicht mithalten – und ich bin sage und schreibe achtundsechzig Jahre alt, Ma’am. Das da ist mein Neffe – er heißt Jonah. Ich brachte ihn mit, weil er sich um alles kümmern sollte, aber er taugt für keine fünf Pfennig. Denkt, daß ich ihn aus meinem Testament streiche, wenn er nicht nett zu mir ist. Weiß bloß noch nicht, daß das längst passiert ist. Diese Närrin da habe ich als Begleiterin eingestellt, aber auch sie ist nichts Gutes gewöhnt. Trotzdem sollte eine Lady eine Anstandsdame haben. Warum starrt mich dieser Bursche so an? Haben Sie ihm keine Manieren beigebracht?«
»Ich wage zu behaupten«, sagte Ramses in seiner äußerst pedantischen Art, »daß die meisten Leute ihre guten Manieren vergessen würden, wenn sie mit jemandem konfrontiert wären, dessen Erscheinungsbild so aufsehenerregend ist. Allerdings möchte ich meiner Mama jede Schmach ersparen. Sie hat darauf gedrängt, daß ich mein Benehmen optimiere, und sollte das Ergebnis nicht zufriedenstellend sein, liegt die Schuld bei mir und nicht bei ihr.«
Es war schwierig, die Wirkung seiner Worte auf Mrs. Axhammer auszumachen, da der Schleier ihre Gesichtszüge verhüllte. Ich persönlich hielt seinen Versuch für überaus lobenswert. Ramses trat einen Schritt näher und streckte ihr seine Hand entgegen. »Darf ich Sie begleiten, gnädige Frau?« fragte er.
Die alte Dame schwang drohend ihren Sonnenschirm. »Geh weg, geh weg, du unverschämter Lümmel. Ich kenne Jungs; stellen einem ein Bein und setzen einem Spinnen aufs Kleid.«
Ramses setzte an: »Madam, seien Sie versichert, daß ich nicht die Absicht hatte …«
»Also, wie könntest du mir denn schon eine Hilfe sein?« fragte die alte Dame erzürnt. »Schwächlicher, kleiner Hanswurst wie du einer bist … Hier, Ma’am, ich nehme Ihren Arm. Sie sind zwar klein, wirken aber kräftig.«
Sie packte mich an der Schulter. Sie trug elegante schwarze Spitzenhandschuhe, doch ihre Hand, die so kräftig war wie die eines Mannes, hatte beileibe nichts Anmutiges. Ich ließ sie allerdings gewähren. Höflichkeit den Älteren gegenüber ist ein Charakterzug, den ich auch meinem Sohn vermitteln möchte – außerdem war der Griff der Dame so energisch, daß man ihn kaum hätte abschütteln können.
Während wir langsam auf die Pyramide zugingen, unterzog mich Mrs. Axhammer einem lästigen Verhör. Sie fragte mich, wie alt ich sei, wie lange ich
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