Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
abgeführt. Die meisten waren zu verblüfft, um zu protestieren. Die wenigen, die sich zur Wehr setzten, wurden brutal überwältigt. Wir konnten nichts weiter tun, als uns zu ergeben und einen günstigen Augenblick abzuwarten, in dem wir unsere Identität zu erkennen geben und um unsere Freilassung bitten konnten, mit Sicherheit jedoch brauchte ich nicht Emersons Ermahnung: »Peabody, wenn du auch nur ein Wort in Englisch, Arabisch oder irgendeiner anderen Sprache von dir gibst, drehe ich dir den Hals um.«
Ich verzieh ihm seinen ungebührlichen Tonfall, denn für eine Diskussion blieb keine Zeit. (Es gab noch andere Dinge, die ich ihm verzeihen oder auch nicht verzeihen würde, sobald ich die Gelegenheit für eine nähere Überlegung bekam.) Auch wenn unsere Erwartungen, Informationen zu beziehen, aufgrund der Razzia vereitelt worden waren, erfuhren wir vielleicht irgend etwas von unseren Mitgefangenen, sofern sie uns ebenfalls für Häftlinge hielten und sie sich der Tatsache nicht bewußt waren, daß wir ihre Muttersprache beherrschten.
Aufgrund der Dunkelheit und der allgemeinen Verwirrung blieben wir unbemerkt, insbesondere auch deshalb, weil wir nicht die einzigen anwesenden Engländer waren (es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht!). Nachdem wir die Stufen hochgescheucht worden waren, warf man uns mit unzähligen anderen in ein wartendes Fahrzeug. Es war kaum Platz zum Stehen, geschweige denn zum Sitzen. Nach einem anfeuernden Peitschenschlag des Kutschers schwankte der Wagen ratternd über das Kopfsteinpflaster, und nur die dichtgedrängt um uns herum stehende Menschenmenge hinderte uns am Fallen. Mein geliebter Emerson hielt mich fest umschlungen und beschützte mich vor dem Schlimmsten, doch gegen den Geruch des Opiums, der ungewaschenen Körper und der nur schwerlich zu umschreibenden Ausdünstungen konnte er nichts unternehmen.
Lediglich im letzten Suchtstadium beeinflußt Opium die Sinneswahrnehmung des Benutzers. Die uns umringenden Männer waren aus ihrem glücklichen Trancezustand gerissen worden; jetzt waren sie wieder voll aufnahmefähig und fluchten freimütig. Emerson versuchte, mir die Ohren zuzuhalten. Aufgrund dieses Hemmnisses und der allgemeinen Geräuschkulisse – dem Murren und Fluchen und den klappernden Wagenrädern – war ich nicht in der Lage, viel zu verstehen, dennoch weckte eine Bemerkung mein Interesse.
»Zur Hölle mit den Ungläubigen! Nur wegen ihnen sind wir hier; die Polizei hätte sich nicht um uns geschert, wenn sie nicht …«
Doch an diesem Punkt kam der Wagen abrupt zum Stehen, und der Sprecher (dessen Attribute ich aus dem Manuskript herausredigiert habe) verlor sein Gleichgewicht und brach ab.
Nachdem wir so unhöflich aus dem Fahrzeug herausgezerrt worden waren, wie man uns zuvor hineingepfercht hatte, brachte man uns über einen Hof, dessen Pflastersteine im Schein der Laternen schmutzigfeucht glänzten, in einen riesigen, überfüllten Raum. Nach der nächtlichen Dunkelheit erschien er mir überaus hell; mit gnadenloser Härte enthüllte das flackernde Licht der Gaslampen die ausgemergelten Gesichter und die zerlumpte Kleidung der Gefangenen. Sie schlugen sich gegen die Brust, rangen ihre Hände und jammerten in schrillstem Arabisch; die Polizeibeamten fluchten und brüllten Befehle. Es war wie im Irrenhaus.
Emerson zog mich in seine schützende Umarmung. »Halte durch, Peabody«, flüsterte er. »Ich gebe mich zu erkennen, und dann werden wir schon bald –«
Mit einem unterdrückten Aufschrei brach er ab; und zum ersten Mal bemerkte ich, daß Furcht das Gesicht meines heldenhaften Emerson überschattete. Sein starrer Blick fixierte den Gegenstand, der ihn aus der Fassung gebracht hatte – eine Kamera.
Wie die Journalisten Wind von der Sache bekommen hatten, war mir ein Rätsel. Ich dachte, daß die Polizeiverantwortlichen in ihrem Eifer nach öffentlicher Anerkennung vielleicht im Vorfeld die Presse informiert hatten. Jedenfalls waren sie vollzählig erschienen und lauerten mit Geierblick.
»Oh, verflucht«, bemerkte Emerson leise. »Ich werde mich nicht zu erkennen geben, Peabody. Nicht solange ich keine Möglichkeit finde, es unter vier Augen zu tun.«
Die Polizeibeamten stellten die Häftlinge in Reih und Glied auf. Zwei von ihnen näherten sich uns. In der zerlumpten, heruntergekommenen Meute wirkte Emerson wie ein Löwe unter Schakalen, obgleich sich sein Bart gelöst hatte und herunterbaumelte. Selbst den Polizisten fiel seine Erscheinung
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