Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Riegel, und die Tür sprang auf.
Eine einzige Lampe im Eingangsbereich warf ihr spärliches Licht ins Innere. Der Raum war niedrig; wie groß er war, konnte ich aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen. Holzbänke säumten die beiden Längswände. Die Anwesenden nahm ich nur als körperhafte Schemen wahr – hier und da ein blasses, emporgerecktes Gesicht oder ein schlaffer, hängender Arm. Wenn die Süchtigen das Gift inhalierten, glomm das brennende Opium in den Metallpfeifen rotglühend auf. Leises Flüstern erfüllte die Spelunke – nicht von Gesprächen, sondern von unzähligen gemurmelten Monologen, die immer wieder von einem leisen Aufschrei oder von schrillem, hysterischem Gelächter unterbrochen wurden.
In dem schmalen Durchgang zwischen den Liegebänken, ungefähr drei Meter vom Eingang entfernt, befand sich ein mit Holzkohle gefüllter Ofen, dem der schwere Duft der Droge entstieg. Er wurde – wie entsetzlich! – von einer Frau angefacht. Vor das stinkende, kleine Feuer gekauert wirkte sie wie ein Haufen Lumpen. Das schmutzige Tuch, das ihren Kopf bedeckte, wirkte wie eine Parodie auf die feinen Baumwollschleier der ägyptischen Damen. Strähniges graues Haar verbarg ihr auf die Brust gesenktes Gesicht.
Emersons Verkleidungsmethode tendiert insbesondere zu Bärten. Er trug den, den er sich auch im Britischen Museum angeklebt hatte, und hatte seine äußere Erscheinung ansonsten lediglich dahin gehend verändert, daß er eine Kappe und seinen ältesten Wollmantel trug, auf dem er zuvor herumgetrampelt war. Die Kappe, eine Leihgabe von Gargery, war ihm viel zu klein, und wegen seiner breiten Schultern erwies es sich als unmöglich, sich weitere Bekleidungsstücke von den Bediensteten auszuborgen. In jedem Fall wäre es ihm unmöglich gewesen, seine prachtvolle Physiognomie oder seine klare, sonore Stimme zu verbergen. Sein Versuch, letztere Eigenschaft zu manipulieren, führte zu einem grotesken Krächzen.
»Zwei Pfeifen!«
Ruckartig hob die Frau ihren Kopf, und sie zog ein Stück von ihrem Tuch über ihre untere Gesichtshälfte. Die schlangenartige Gewandtheit ihrer Bewegungen strafte ihre Verkleidung Lügen, und ihre auf Emerson fixierten Augen waren die einer Frau in den besten Jahren – dunkel wie die Nacht und von einem unbeschreiblichen Feuer. Denn sie kannte ihn – und er kannte sie. Der Schock der Überraschung und des Wiedererkennens durchzuckte seinen Körper wie ein Stromschlag.
Ein rasselndes, ironisches Auflachen wurde hinter ihrem Tuch vernehmbar. »Zwei Pfeifen, Effendi? Für Emerson, den Vater der Flüche, und seinen … seinen …«
Sie reckte ihren Kopf und beugte sich zur Seite, um mich besser sehen zu können. Emerson zog mich hinter sich.
»Dein Geschmack hat sich seit unserer letzten Begegnung geändert, Emerson«, fuhr sie mit süffisanter Stimme fort. »Damals hast du dich noch nicht für Jungen interessiert.«
»Man wird dich hören«, brummte Emerson mit einem Kopfnicken auf die schlaffen Gestalten auf den Bänken.
»Sie sind im Paradies; sie hören nur das Murmeln der Huris. Erzähl mir, warum du gekommen bist, und dann verschwinde wieder. Das ist kein Ort für dich oder deinen …«
»Ich wollte mit dir reden. Wenn nicht hier, so sag mir, wo.«
»Dann hast du Ayesha also nicht vergessen? Deine Worte klingen wie Balsam für meine tief verletzte und einsame Seele …« Ironisches Gelächter beendete ihren Satz. Dann zischte sie: »Dein Gesicht kann deine Gedanken nicht verbergen, Emerson. Ich kann sie immer noch erraten. Du hast nicht damit gerechnet, mich hier anzutreffen. Was willst du? Wie kannst du es wagen, in Begleitung deines neuen Geliebten hier aufzutauchen und mich in Gefahr zu bringen?«
Überflüssig zu erwähnen, daß ich jedes Wort verfolgte und die Unterhaltung – gelinde gesagt – provokativ fand. Leider brach Ayesha an diesem überaus interessanten Punkt ab. Was sie wußte, würde ich niemals erfahren. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang sie auf und verschwand ins rauchgeschwängerte Dunkel eines Hinterzimmers.
»Zum Teufel«, entfuhr es Emerson. »Beeilung, Peabody!«
Leider war sie durch eine Tür entkommen, die nur sie allein kannte. Emerson trat immer noch fluchend vor die Wand, als eine Horde Männer über die Treppe in den Raum hinunterströmte. Die silbernen Abzeichen auf ihren Helmen glänzten, und das laute Trillern der Polizeipfeifen erfüllte den Raum.
Die berauschten, auf den Bänken ruhenden Anwesenden wurden hochgezerrt und
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