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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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Kröte.
    Während ich entgeistert dastand, schlug Emerson die Augen auf. Ein höchst sonderbarer, entsetzter und überraschter Ausdruck huschte über sein Gesicht, und er fiel prompt wieder in Ohnmacht.
    Der Sonnenschirm entglitt meiner zitternden Hand. Dadurch wurde die Frau auf mich aufmerksam. Langsam und bedächtig wie eine riesige Made richtete sie sich auf und drehte sich um.
    Ich hörte die Vorhänge hinter mir rascheln und wußte, daß Tarek hereingekommen war. Doch ich konnte meine Augen nicht von diesem Anblick abwenden. Ich hatte mich geirrt. Dieses Ungeheuer konnte nicht die Königin sein. Nur unvorstellbares Grauen hatte dazu führen können, daß der tapferste aller Männer die Besinnung verlor. War es die Fleischwerdung eines altägyptischen Tiergottes? Das verhutzelte, mumifizierte Antlitz einer tausend Jahre alten Frau?
    Aber ich bekam etwas weitaus Schrecklicheres zu sehen, und in diesem Augenblick der Erkenntnis verstand ich Emersons Entsetzen und Tareks Warnung. Es war das Gesicht einer unglaublich dicken Frau, deren Züge wegen der aufgeplusterten Wangen kaum noch zu erkennen waren. Außerdem war es weiß – blaß und fahl wie das einer Leiche. Ihr Haar, das ihr über die Schultern fiel und fast bis auf den Boden reichte, war silberblond; die Augen, die mich durch die Fleischwülste musterten, hatten das zarte Blau von Kornblumen, wie man sie auf einer englischen Wiese findet.
    So ruhig wie der Himmel, dessen Farbe sie hatten, betrachteten mich diese Augen – gefühllos und desinteressiert. So hätte eine gewöhnliche Frau vielleicht eine Fliege angesehen, die es gewagt hatte, sich auf ihrer Hand niederzulassen. Durch den Nebel des Schreckens, der mir den Verstand verschleierte, war mir, als hörte ich Emersons Stimme die Worte wiederholen, die er mir erst vor wenigen Monaten an einem regnerischen Abend in England gesagt hatte: »Ein bezauberndes Geschöpf, das nicht älter aussah als achtzehn; mit großen, träumerischen blauen Augen, Haaren wie eine Kaskade gesponnenen Goldes, einer Haut so weiß wie Elfenbein …«
    »Mrs. Forth«, keuchte ich entsetzt. »Sind Sie das etwa?«
    Falten traten auf ihre breite Stirn. »Ich kenne diesen Namen«, antwortete sie in Meroitisch mit starkem englischem Akzent. »Er gehört jemandem, den ich hasse. Geh fort, Frau, und sprich ihn nie mehr aus.«
    Nun ahnte ich die traurige und schreckliche Wahrheit. Nach der Geburt ihres Kindes war sie tatsächlich gestorben; nur ihr Körper hatte weitergelebt. Auf solchen Fällen beruhen die alten Legenden über Menschen, die von bösen Geistern besessen sind – ein Mann oder eine Frau kann die Leiden des Daseins nicht mehr ertragen, verabschiedet sich von der Wirklichkeit und nimmt eine neue Identität an. Sie war nicht mehr Willoughby Forths Frau, sondern die göttliche Gemahlin Amons. Ihre Tochter, ihren Gatten und die Welt, aus der sie kam, hatte sie vergessen.
    Konnte ich sie retten? Mir blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Denn selbstverständlich kam es nicht in Frage, daß ich sie ihrem Schicksal überließ.
    Also wandte ich mich in flammenden Worten an sie. Ich versicherte ihr, daß ich für sie nichts als das zärtlichste Mitgefühl empfände (trotz ihrer ungehörigen Avancen an einen verheirateten Mann). Dank meines von aufgewühlten Gefühlen erschütterten Zustandes erhob ich mich in ungeahnte rhetorische Höhen. Emersons Augen blieben zwar geschlossen, aber ich wußte, daß er wieder zu sich gekommen war. Allerdings unterließ er es klugerweise, sich in das Gespräch einzumischen.
    Ihr Gesicht zeigte keine Regung, bis mir, wie ich im Licht der folgenden Ereignisse zugeben muß, ein Fehler unterlief. »Wir werden Sie mitnehmen, Mrs. Forth. Sie erwartet ein Zuhause, wo man Sie lieben und schätzen wird – der Vater Ihres Gatten lebt nur für den Augenblick, da er Sie wieder in die Arme schließen kann …«
    Sie stieß einen Schrei aus. »Fort? Von meinem Tempel, meinen Dienern? Du sprichst, obwohl ich dir zu schweigen befohlen habe. Du bleibst, nachdem ich dir befohlen habe zu gehen. Zuerst wollte ich Gnade walten lassen, aber nun ist meine Geduld mit dir zu Ende, Frau! Töte sie! Töte die Gotteslästerer!«
    Aus den Schatten am gegenüberliegenden Ende des Raumes trat die »Hand«, den Speer gezückt, ein widerwärtiges Lächeln auf dem Gesicht. Emerson sprang auf.
    »Geh mir aus der Schußlinie, Liebling!« rief ich und legte meine Pistole an.
    »Mein Gott, Peabody – nein – nicht

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