Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
zur Seite rettete ihn.
Die Zuschauer rückten näher und schubsten einander, um besser sehen zu können, wie Männer bei einer Sportveranstaltung. Es war eine widerwärtige Zurschaustellung aller primitiven Gefühle, die im Herzen eines Mannes wohnen. Als Ramses auf einen Stuhl kletterte, sich auf Zehenspitzen stellte und versuchte, über die Köpfe der Zuschauer hinwegzublicken, packte ich ihn am Arm. »Komm auf der Stelle herunter, und bleib in meiner Nähe. Wenn ich dich wieder verliere, bekommst du Schwierigkeiten mit mir. Emerson, kannst du … Ach, verdammt! Wo steckt denn dein Vater?«
»Da drüben«, antwortete Ramses und deutete mit dem Finger in eine Richtung. Emerson war zu den Zuschauern hinübergelaufen. Sein Kopf hüpfte auf und nieder, während er Tarek gute Ratschläge zurief, die diesem, wie ich befürchtete, wahrscheinlich nicht viel weiterhalfen. Ich glaube nicht, daß Wörter wie »Finte« und »ausfallen« irgendeine Bedeutung für ihn hatten.
Die Angelegenheit dauerte um einiges länger, als ich erwartet hatte, und allmählich machte ich mir Sorgen. Nur das Krachen der zusammenschlagenden Schwerter und das Schreien und Stöhnen der Zuschauer verrieten mir, was vor sich ging. Ich zweifelte nicht an Tareks überlegenen Fähigkeiten, aber sein Bruder war ausgeruht und unverwundet. Was würde aus uns werden, wenn Tarek fiel?
Als ich mich umsah, stellte ich fest, daß Ramses und ich allein waren. Die Wachen waren verschwunden, um sich das Duell anzusehen, und Reggie … Wann hatte er uns verlassen? Hatte er sich am Kampf beteiligt? Ich konnte ihn nirgendwo entdecken. Inzwischen schien auch der geheimnisvolle Pavillon leer zu sein, denn die »Hand« stand nicht länger davor.
Die Menge schrie auf. Ein gewaltiger Schlag, vielleicht ein tödlicher, war gefallen – doch wer hatte ihn ausgeführt? Meine geringe Körpergröße verfluchend, kletterte ich auf einen Stuhl. So konnte ich den Kopf eines der Kämpfenden sehen. Nur einer stand noch auf den Beinen. Das Herz blieb mir stehen, denn ich erkannte Nastasens Gesicht. Doch dann – sah ich den Blutstrom aus seinem offenen Mund, sah, wie sein Körper steif wurde und zu Boden stürzte. Tarek erhob sich nach dem kraftvollen Hieb, der seinen Feind niedergestreckt hatte. Einen Moment lang stand er blutüberströmt und siegreich da. Dann schloß er die Augen und sank ohnmächtig in die Masse aus Armen und Leibern.
Ich sprang vom Stuhl und rannte zu ihm hinüber, wobei ich Ramses hinter mir herzerrte.
Mit seiner tatkräftigen Hilfe und mittels meines zuverlässigen Sonnenschirms bahnte ich mir einen Weg durch die Menge und vertrieb die Gratulanten von der niedergesunkenen Gestalt unseres königlichen Freundes. Wie ich gehofft hatte, war er nicht tot. Ein Schluck Brandy aus der Flasche an meinem Gürtel brachte ihn rasch wieder zu sich, und als er wieder die Augen aufschlug, fiel sein Blick zuerst auf Ramses, der sich über ihn beugte und ihm besorgt ins Gesicht schnaufte. »Ach, mein junger Freund«, sagte Tarek mit einem schwachen Lächeln. »Wir haben gesiegt, und du bist ein Held. Ich werde dir im Hof des Tempels ein Denkmal errichten lassen …«
»Schont Eure Kräfte«, mahnte ich streng und flößte ihm noch einen Schluck Brandy ein. »Wenn Ihr Euch von Euren Männern nach Hause tragen laßt, werde ich Eure Wunden versorgen.«
»Später, Herrin – ich danke Euch. Aber es gibt noch viel zu tun, bevor ich mich ausruhen kann.« Er erhob sich und richtete sich hoch auf. »Aber wo ist der Vater der Flüche? Ich möchte auch ihm danken, denn seine weisen Worte und seine mutigen Taten haben mir viele Anhänger gewonnen.«
Zu meiner Verlegenheit mußte ich zugeben, daß ich den Kopf verlor, als ich Emersons Verschwinden bemerkte. Ich lief hin und her, rief seinen Namen, drehte Leichen um und starrte in gespenstisch verzerrte Gesichter. Sänftenträger hatten schon begonnen, die Verwundeten vom Hof wegzutragen. Ich stellte mich ihnen in den Weg und verlangte, mich selbst davon zu überzeugen, daß Emerson sich nicht darunter befand.
»Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« rief ich händeringend. »Noch vor einer Minute stand er hier, unverwundet – wenigstens nicht schwerverletzt, das glaubte ich zumindest … Mein Gott, was ist mit ihm geschehen?«
Tarek legte mir eine blutige, aber sanfte Hand auf die Schulter. »Keine Angst, Herrin. Wir werden ihn finden, und wenn ihm ein Leid geschehen ist, werde ich diejenigen, die ihn verschleppt
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