Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
worden. Sobald Ramses sie befreit hatte, sprang sie davon. Ich war erleichtert, denn wir hatten bereits genug Tiere in Pflege, und dieses hier war außerdem ein Ziegenbock.
Emerson war keineswegs begeistert, als er von diesem Zwischenfall erfuhr. Ich hatte damit gerechnet, Ramses verteidigen zu müssen, aber das blieb mir erspart. Emerson war nicht wütend auf Ramses.
»Zum Teufel mit dir, Peabody!« brüllte er erbost.
»Der alte Trick mit dem verletzten Vieh, um Himmels willen! Wirst du es denn nie begreifen!«
Wir hatten uns in unser Zimmer zurückgezogen, und ich lag in besagtem Augenblick in seinen Armen, so daß meine Erwiderung etwas unverständlich klang.
»Er wirkt immer, Emerson. Wir alle würden darauf hereinfallen. Darüber hinaus haben selbst unsere einfallsreichsten Widersacher nur begrenzte Möglichkeiten.«
Emerson lachte immer noch, als er seine Hand unter mein Kinn legte und mein Gesicht in eine etwas angenehmere Position schob.
Irgendwann später saß ich auf der Bettkante und sah ihm bei seiner Reinigungsaktion zu.
»Ich hoffe, du verzeihst mir meine Heiterkeit«, bemerkte er zwischen Platschen und Prusten. »Also wirklich, Peabody, die Einfallslosigkeit eines Gegners auch noch in Schutz nehmen zu wollen …«
»Ramses hat ebenfalls gelacht«, sagte ich.
»Ramses?« Emerson drehte sich um und starrte mich mit tropfnassem Gesicht an.
»Ja, das hat mich ziemlich überrascht. Die Veränderung seiner Gesichtszüge war erstaunlich. Mir war gar nicht klar, wie sehr er dir gleicht. Eigentlich ist er ein recht gut aussehender Bursche.«
»Er ist ein attraktiver Teufel«, korrigierte Emerson. Grinsend fügte er hinzu: »Wie sein Vater. Ich werde nicht fragen, womit du Ramses zu einer solch außergewöhnlichen Reaktion provoziert hast, da es dir sicherlich nicht belustigend vorkam.«
»Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich glaube, daß Ramses’ Analyse des Falles richtig ist. Sie setzt ihre Macht ziemlich brutal ein, nicht wahr? Drei Opfer bislang, sofern das Mädchen zu ihnen gehörte.«
»Sie muß eine von ihnen gewesen sein, ob freiwillig oder nicht«, brummte Emerson. »Was wußte sie, was sie so gefährlich machte?«
»Komm, mein Lieber, wir nehmen unseren Tee ein. Vielleicht hast du dann eine Eingebung.«
Als wir hinaustraten, hatten sich die anderen bereits auf der Veranda versammelt. Sir Edward war der einzige, der fehlte. Seine Abwesenheit wurde von Emerson sofort registriert, aber niemand hatte eine Erklärung dafür.
»Es sei denn«, überlegte ich, »er hat Mr. Paul nach Luxor begleitet. Wie du selbst betont hast, Emerson, gehört er nicht zu deinem Mitarbeiterstab.«
»Er scheint das Interesse an uns zu verlieren«, bemerkte Nefret.
»Was meint ihr, hat er uns als aussichtslosen Fall abgehakt?«
Sie saß auf dem Verandasims neben Ramses, der ihr höflich Platz gemacht hatte.
»Man könnte es ihm nicht übelnehmen«, sagte Ramses. »Das einzige, was wir bislang fertiggebracht haben, ist, von einer Falle in die nächste zu tappen.«
Meiner Ansicht nach klang in seiner Stimme ein Anflug von Kritik mit. »Was können wir denn noch tun?« wollte ich wissen. »Wir tappen absolut im dunkeln und haben keine Ahnung, wo sich unsere Gegner versteckt halten. Aber die Sache hat einen positiven Aspekt: Sie haben jetzt einen Verbündeten weniger.«
»Du hast die Polizei informiert?« fragte Emerson. Ramses nickte. »Vermutlich werden sie ihn irgendwann auflesen. Falls die Schakale und die Geier noch irgend etwas von ihm übriglassen.«
»Entsetzlich«, murmelte David.
»Ja, das ist es wirklich«, stimmte ihm Ramses zu. »Aber ich bezweifle ohnehin, daß sie ihn identifizieren können. Er war kein Einheimischer, ansonsten hätte ich ihn bereits bei unserer ersten Begegnung erkannt.«
Brütendes Schweigen trat ein. Dann sagte Emerson in nachdenklichem Tonfall: »Ich glaube, ich werde noch einmal kurz ins Tal gehen.«
»Emerson!« entfuhr es mir. »Wie kannst du nur an so etwas denken!«
»Ach, verflucht, Peabody, was die andere Sache anbelangt, können wir doch überhaupt nichts tun, oder? Maspero trifft morgen ein, und das Grab …«
»Falls du beabsichtigst, dieses Haus zu verlassen, werde ich … werde ich …«
»Was?« fragte Emerson neugierig.
Glücklicherweise sorgte der Anblick eines herannahenden Reiters für willkommene Ablenkung. »Da ist Sir Edward!« rief ich. »Er wird uns berichten, was passiert ist.«
Das tat Sir Edward mit Freuden. Auf Emersons Drängen hin
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