Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
offensichtlich in der engeren Wahl, aber sie hoffte, auch Mädchen aus den Dörfern vom Westufer auf sich aufmerksam zu machen, und in Luxor gab es bereits zwei Schulen.
»Die Missionsschule und welche andere?« fragte ich.
»Die Schule, die Fatima besucht. Sie hat Ihnen davon erzählt.«
»Oh, ja. Aber das ist eigentlich keine richtige Schule, oder?«
»Vielleicht nicht nach unseren Maßstäben, aber sie befindet sich an einem zentralen Standort, und Sayyida Amin hält jeden Tag mehrere Unterrichtsstunden ab. Sie gestand mir, daß ihr für weiteren Unterricht die finanziellen Mittel fehlen.«
Es war wohltuend, von meinen vorübergehend unlösbaren Schwierigkeiten abgelenkt zu werden und mich auf ein Problem konzentrieren zu können, das sich mit dem entsprechenden Zeitaufwand, Geld und Engagement lösen ließ – sämtlichen Voraussetzungen, die Katherine erfüllte. Als die kleine Uhr auf dem Kaminsims schlug, war ich erstaunt, wie spät es schon war.
»Ich muß zurück«, erklärte ich und erhob mich. »Sie dürfen nicht gehen, Amelia. Emerson hat Sie gebeten zu warten, bis Sie jemand abholt.«
»Ich weigere mich, wie ein Kind hier herumzusitzen und darauf zu warten, daß sein vielbeschäftigter Papa endlich kommt. Es ist heller Tag, und außerdem bin ich zu Pferd.«
Während sie mir ernsthaft ins Gewissen redete, folgte mir Katherine die Treppen hinunter. Doch als wir den Hof betraten, fanden wir Ramses dort im Schneidersitz auf dem Boden hockend vor, ins Gespräch vertieft mit dem Pförtner und einem der Gärtner. Letzterer warf Katherine einen schuldbewußten Blick zu und eilte fort.
»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du hier bist?« wollte ich wissen. In einer geschmeidigen Bewegung sprang Ramses auf. »Ich bin noch nicht lange hier. Vater ist noch im Tal, aber er sagte, daß er bald aufbrechen würde und daß wir umgehend nach Hause zurückkehren sollen. Guten Tag, Mrs. Vandergelt.«
»Guten Tag«, sagte Katherine mit ihrem katzenhaften Lächeln. »Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«
»Nein, danke, Ma’am, Vater sagte, wir sollten sofort aufbrechen.«
Er bestand darauf, daß ich Risha ritt, und schwang sich auf meine gutmütige, aber schwerfällige Stute. »Was hat dein Vater vor?« fragte ich.
»Ich glaube, daß er Mr. Paul und Sir Edward auflauert. Im Hinblick darauf, daß Monsieur Masperos Dahabije morgen eintrifft, ist er noch besorgter um den Inhalt der Grabkammer.«
»Das dachte ich mir. Ich wünschte, ich könnte ihn davon überzeugen, sich nicht einzumischen. Maspero ist ohnehin schon schlecht zu sprechen auf ihn.«
Als die Pferde den unwegsamen Pfad entlangtrotteten, der aus dem Tal führte, vernahm ich plötzlich ein Geräusch und drehte mich um. Es dauerte einen Augenblick, bis ich das laute Blöken lokalisiert hatte, denn das staubige Fell der Ziege hatte fast die gleiche Farbe wie das Felsgestein.
Auf mein sanftes Kommando hin blieb Risha stehen. Ich saß ab und ging auf das Tier zu, dessen Bein sich in einer Schlinge verfangen zu haben schien.
»Verflucht, Mutter!« brüllte Ramses. »Paß auf!« Da ich bei weitem nicht so dumm bin, wie meine Kinder glauben, hatte ich sofort erkannt, daß es sich um eine Falle handeln könnte, und war einer direkten Konfrontation nicht abgeneigt. In der Tat hatte ich auf etwas Derartiges gehofft. Deshalb befand sich meine Hand in meiner Jackentasche, als der Mann hinter einem Felsblock hervortrat und sich auf mich stürzen wollte. Er hatte ein Messer gezückt und ich von daher keine Bedenken, meine Pistole einzusetzen und abzufeuern. Während ich den Abzug betätigte, stürzte sich Ramses auf den Burschen, und beide gingen zu Boden.
»Verflucht!« schrie ich und rannte auf die beiden zu. »Ramses, was zum Teufel hast du da vor … Ramses, bist du verletzt? Sprich mit mir!«
Ramses rollte zur Seite und setzte sich auf. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt und seine dunklen Brauen zusammengezogen. Selbst sein Vater trug selten einen so beeindruckend grimmigen Gesichtsausdruck zur Schau. Er nahm einen tiefen Atemzug.
»Nein, sag jetzt nichts«, sagte ich rasch. »Beruhige dich. Gütiger Himmel, ich glaube, ich habe den Burschen umgebracht!«
Auf dem Umhang des Mannes befand sich ein blutiges Einschußloch. Seine Augen waren weit aufgerissen wie bei einem Toten. Das übrige Gesicht war von einem Schal verborgen. Ramses’ Lippen bewegten sich. Ich überlegte, ob er fluchte oder betete – nein, er betete nicht, Ramses mit Sicherheit nicht
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