Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
zur Verzweiflung bringen. Sich in der Öffentlichkeit so anzuschreien!«
»Ich habe nicht geschrien«, schmollte Nefret. Sie ließ sich von ihm weiterziehen. »Ramses würde selbst die Geduld eines Heiligen auf die Probe stellen. Und ich bin keine Heilige. Wie habt ihr es angestellt?«
»Wir haben versucht, Antiquitäten zu kaufen«, sagte David. »Ramses als schwerreicher, überaus bornierter Tourist mit mir als treuem Dragomanen.«
»Tourist«, wiederholte Nefret. Erneut blieb sie stehen und wirbelte so plötzlich zu Ramses herum, daß dieser einen Schritt zurückweichen mußte, um nicht mit ihr zusammenzustoßen. Sie fuchtelte mit ihrem Finger vor seiner Nase herum. »Aber nicht dieser beschränkte Engländer mit dem strohfarbenen Haar, der mich durch sein Monokel beäugte und meinte …«
»Potzblitz, das ist eine verflucht ansprechende Frauensperson«, wiederholte Ramses im affektierten Tonfall des beschränkten Engländers.
Kopfschüttelnd mußte Nefret lachen. »Was habt ihr herausgefunden?«
»Daß ein skrupelloser Tourist mit viel Geld sämtliche von ihm begehrten Antiquitäten finden kann. Allerdings wurde uns trotz der Tatsache, daß ich alles Feilgebotene kritisierte und ständig nach Besserem verlangte, nichts von der Qualität des Papyrus angeboten. Yussuf Mahmud tauchte kein einziges Mal auf. Normalerweise gehört er zu den ersten, die sich auf die leichtgläubigen Touristen stürzen.«
»Sie haben ihn ermordet«, hauchte Nefret.
»Oder er hält sich verborgen«, sagte Ramses. »Sei still, Nefret. Da kommt Mutter. Begriffe wie ›Mord‹ hört sie kilometerweit.«
Obwohl die Veranstaltung nichts zu wünschen übrigließ, genoß ich unsere jährliche Abendgesellschaft nicht so sehr wie sonst. Viele alte Freunde weilten nicht mehr unter uns, da sie in die Ewigkeit beziehungsweise weniger endgültige Ziele abgerufen worden waren. Howard Carter fehlte, ebenso Cyrus Vandergelt nebst Gattin; das Wissen, daß wir alle drei in Luxor treffen würden, konnte ihre Abwesenheit nicht gänzlich kompensieren. Was M. Maspero anbelangte, so hatte ich ihn selbstverständlich eingeladen, war insgeheim jedoch erleichtert, als er eine früher ausgesprochene Einladung vorschob. Obwohl mir klar war, daß Verbitterung fehl am Platz war, spürte ich diese Empfindung doch, und den anderen zu lauschen, die voller Begeisterung mit ihren Pyramiden, Mastaben und unerschöpflichen Friedhofsgebieten prahlten, während wir einer weiteren langweiligen Saison inmitten der unbedeutenderen Grabstätten im Tal entgegensahen, steigerte meinen Zorn auf den Direktor lediglich.
Mr. Reisner lud mich überaus höflich nach Gizeh ein, wo er die Konzession für die Zweiten und Dritten Pyramiden besaß, doch ich lehnte mit der Entschuldigung ab, daß unsere Abreise am folgenden Tag unaufschiebbar wäre. Tatsächlich sah ich auch keinen Sinn darin, mich selbst zu quälen, indem ich anderer Leute Pyramiden besichtigte, während ich keine eigene vorzuweisen hatte. Emerson, der das Angebot überhört hatte, warf mir einen verunsicherten Blick zu, kam jedoch nicht mehr auf das Thema zu sprechen. In jener Nacht waren seine Zuneigungsbeweise besonders liebevoll. Ich reagierte mit der Begeisterung, die Emersons Zärtlichkeiten stets bei mir auslösen, dennoch ließ mich der winzige Stachel der Verärgerung nicht mehr los. Es ist so charakteristisch für die Männer, anzunehmen, daß Küsse und Umarmungen eine Frau von wichtigeren Dingen ablenken.
Am Tag nach unserer Abendgesellschaft trafen Emerson und ich Nefret in einem der neuen Restaurants zum Mittagessen. Am Morgen war sie auf der Dahabije gewesen, um einige ihrer Sachen zu holen.
»War das Ramses?« fragte ich, während ich einer vertrauten Gestalt nachspähte, die sich mit einer Geschwindigkeit entfernte, die vermuten ließ, daß besagte Person nicht entdeckt zu werden wünschte. »Warum gesellt er sich nicht zu uns?«
»Er hat mich hierherbegleitet«, sagte Nefret. »Aber er mußte zu einer Verabredung, deshalb konnte er nicht bleiben.«
»Mit irgendeiner jungen Frau vermutlich«, sagte ich mißbilligend.
»Es gibt immer irgendwelche junge Frauen, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, weshalb sie ihm nachstellen. Ich hoffe nur, es handelt sich nicht um Miss Verinder. Sie ist absolut hirnlos.«
»Miss Verinder ist nicht mehr aktuell«, erwiderte Nefret. »Darum habe ich mich gekümmert.« Als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte, fuhr sie rasch fort: »Hast du das gesehen, Tante
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