Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
sehr romantisch aus und verbirgt kleine Schönheitsfehler wie ein Doppelkinn oder einen faltigen Hals.)
Sie begrüßte mich auf französisch. »C’est un honneur, mademoiselle. Aber ich hatte gehofft, daß die geschätzte Madame Emerson Sie begleiten würde.«
In meinem ziemlich holprigen Französisch erklärte ich ihr, daß die geschätzte Madame Emerson eine andere Verabredung hatte, sie jedoch Grüße ausrichten ließ und auf eine Begegnung in naher Zukunft hoffte.
»Diese Hoffnung kann ich nur teilen«, sagte Madame höflich. »Es ist wenig, was ich hier tun kann; die Unterstützung durch Madame Emerson wäre von unschätzbarem Wert für unsere Sache.« Sie öffnete eine weitere Tür und führte uns in das sich daran anschließende Zimmer, in dem mehrere Frauen auf dem Boden saßen. Einschließlich Fatima waren sie lediglich zu acht; ihr Alter reichte von Mädchen im Alter zwischen zehn und zwölf bis hin zu einer runzligen alten Dame.
Ich setzte mich auf den mir von Madame zugewiesenen Stuhl und lauschte dem Fortgang des Unterrichts mit großem Interesse. Das Textbuch war der Koran. Die Frauen lasen reihum daraus vor, und ich war erfreut, daß Fatima zu den Schülerinnen gehörte, die am flüssigsten vortrugen. Einige andere sprachen so leise, daß man sie kaum verstehen konnte; vermutlich machte sie die Anwesenheit eines Besuchers nervös. Der älteren Frau ging die Sache keineswegs leicht von der Hand, aber sie bemühte sich nach Kräften und weigerte sich standhaft, die Hilfe der anderen anzunehmen; als sie ihren Vers vorgelesen hatte, warf sie mir ein triumphierendes, zahnloses Lächeln zu. Ich lächelte zurück, und es beschämt mich keineswegs einzugestehen, daß ich Tränen in den Augen hatte. Der Unterricht dauerte nur vierzig Minuten. Nachdem die Schülerinnen den Raum verlassen hatten, versuchte ich, Madame meine Bewunderung deutlich zu machen. Wie so üblich, wenn ich tief berührt bin, versagte mein Französisch; ich dankte ihr dafür, daß ich hatte anwesend sein dürfen, und wünschte ihr einen guten Abend.
»Sie müssen doch nicht schon gehen«, entfuhr es Madame. »Wir trinken noch ein Glas Tee und plaudern.«
Sie klatschte in die Hände. Der eintretende Bedienstete war ein Mann. Da sich Madame nicht verschleierte, fragte ich mich, ob der arme Kerl – wie würde Tante Amelia es nennen? – einer gewissen Körperfunktion entbehrte. Solche Eingriffe sind zwar gesetzlich verboten, doch in der Vergangenheit waren sie gang und gäbe. Er erschien mir nicht älter als vierzig, und seine hünenhafte Erscheinung wirkte eher muskulös als beleibt.
Madame drehte sich zu ihm um und wollte gerade etwas sagen, als ich ein dröhnendes Klopfen an der Haustür vernahm. Dieses Klopfen war unmißverständlich – dachte ich jedenfalls. »Verfl …«, setzte ich an. »Äh … mille pardons, Madame. Es tut mir leid, aber das ist Professor Emerson, der mich abholen will. Geduld zählt nicht zu seinen Tugenden.«
Madame lächelte. »Ja, so sagt man von Professor Emerson. Selbstverständlich ist er willkommen.«
Sie winkte dem Diener, der sich verbeugte und verschwand. Der weiße Chiffonschleier war mit Goldschlaufen an den Ohren befestigt. Während ihn Madame erneut anlegte, wurde die Tür des Salons geöffnet, und anstelle des Professors stolzierten Ramses und David ins Zimmer.
Ich hätte sie umbringen können, trotzdem war ich gewissermaßen stolz auf meine Mannsbilder. Sie sahen besonders anziehend aus. David ist immer adrett und gut gekleidet, und Ramses trug seinen besten Tweedanzug. Ich nehme an, daß er seinen Hut vergessen hatte, denn sein Haar war vom Wind zerzaust; es ist sehr wellig und meistens zu lang, da er das Warten beim Friseur verabscheut. Trotz des Schleiers, der ihr Gesicht fast vollständig verhüllte, bemerkte ich, daß Madame positiv beeindruckt war. Lange und unverhohlen betrachtete sie die beiden, dann bedeutete sie Ramses, sich neben ihr auf dem Diwan niederzulassen. Ramses schüttelte den Kopf. »Ma chère Madame, wir würden nicht im Traum daran denken, Ihre kostbare Zeit zu verschwenden. Meine Schwester wird zum Abendessen im Hotel erwartet. Ich bin sehr erfreut, Ihnen meine und die Bewunderung meiner Eltern für Ihren Mut zu einer Sache auszudrücken, die unsere ganze Unterstützung findet.«
Ramses spricht Französisch wie viele andere Sprachen – fließend und gewählt. Als Madame antwortete, hatte ich das Gefühl, daß ihre Stimme belustigt klang. »Ah. Also sind auch Sie
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