Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Kapitel
Als ich um kurz nach fünf das Semiramis betrat, teilte mir der Portier mit, dass Miss Minton mich darum ersuche, den Tee auf ihrem Zimmer einnehmen zu dürfen. Aha, dachte ich, ich habe mich nicht getäuscht. Sie hat mir etwas zu berichten oder will etwas von mir – irgendeine Sache, die Vertraulichkeit voraussetzt. Das hier war kein normaler Höflichkeitsbesuch. Aber davon war ich auch nicht ausgegangen.
Ich fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock, wo der Safragi mich zu ihrer Tür führte. Es war eine hübsche kleine Suite, die aus einem Salon und einem Schlafraum bestand; der Salon diente ihr gleichzeitig als Arbeitszimmer, denn überall waren Bücher verstreut und auf einem Tisch unter dem Fenster lagen ordentlich aufgeschichtete Papierstapel. Nachdem sie mich begrüßt und mir einen Stuhl angeboten hatte, bequemte sich Miss Minton hinter das Teetablett.
»Wie nehmen Sie Ihren Tee, Mrs Emerson? Wenn ich lange genug in Ihrem Haushalt geblieben wäre, um den bevorzugten Status einer Haushälterin zu erwerben, wüsste ich die Antwort, aber …«
»Mit Milch, bitte. Ich bewundere Ihre Dreistigkeit, Miss Minton. Eigentlich sollten Sie sich mit Empörung und Bedauern an Ihre schamlose Maskerade erinnern und sich nicht auch noch lustig darüber machen.«
»Bei Ramses war es nicht anders. Wenigstens nehme ich an, dass er scherzte. Kommen Sie, Mrs Emerson, es ist schon lange her; haben Sie mir den harmlosen Schabernack denn nie verziehen?«
»Mich kümmert nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. Sie haben sich nicht geändert, Miss Minton. Sie wären nicht so hartnäckig gewesen, hätten Sie nur eine alte Bekanntschaft erneuern wollen. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Sie kommen direkt auf den Punkt, was?« Sie stellte ihre Tasse auf den Tisch und beugte sich vor. »Ob Sie es glauben oder nicht, die Erneuerung einer alten Bekanntschaft war einer meiner Beweggründe. Ich war vor allem neugierig, Ramses zu sehen.«
»Sie haben mehr als nur Blicke riskiert.«
»Mmmm.« Es klang wie das Schnurren einer Katze. »Mir war bewusst, dass er inzwischen ein erwachsener Mann sein muss, aber wer hätte ahnen können, dass dieser nervtötende kleine Flegel sich dermaßen ändern würde? Er ist noch attraktiver als sein Vater, und diese Schultern …« Sie rollte die Augen und spitzte ihre Lippen in ungehöriger Art und Weise.
»Sie müssen es sicherlich wissen«, erwiderte ich frostig. »Was war der Grund für Ihre Darbietung?«
»Ich habe die feste Absicht, Sie darüber aufzuklären. Allerdings bitte ich darum, in dem mir eigenen Habitus berichten zu dürfen, ohne Zwischenfragen oder Unterbrechungen Ihrerseits. Sicher haben Sie zeit Ihres Lebens viele sonderbare Geschichten gehört, aber diese hier ist eine der merkwürdigsten. Vielleicht sollte ich mit der Frage beginnen, ob Sie mir die Gunst erweisen, ein Exemplar meines neuesten Buches anzunehmen.«
Sie gab es mir. »Ich habe es nicht signiert. Sie können es behalten, verschenken oder verbrennen, was Sie wollen; aber lesen Sie zunächst die von mir markierten Seiten.«
»Jetzt sofort?«
»Ich bitte darum. Es dauert nicht lange.«
Ein eingelegter Streifen Papier deutete an, wo ich beginnen sollte. Ich öffnete das Buch und blickte auf die Seite. »Das brauche ich nicht zu lesen. Ich erinnere mich sehr gut an diese Szene.«
Ein Strahlen glitt über ihr Gesicht. »Eine der aufregendsten Szenen, die ich je zu Papier gebracht habe«, sagte sie selbstzufrieden.
»Sie haben den Begriff ›seiden‹ 26-mal benutzt.«
Miss Minton warf den Kopf zurück und lachte. »Und ›üppig‹ 28-mal. Nun ja, wenn Ihnen mein Stil so zuwider ist, will ich Sie nicht erneut damit quälen. Bestimmt entsinnen Sie sich, dass ich nach meiner Bitte um ein Interview mit dem Emir in einen Raum im Palast geführt wurde, wo ich acht Tage lang blieb und niemanden zu Gesicht bekam außer den Sklavenmädchen, die mir das Essen brachten. Man behandelte mich mit ausgesuchter Höflichkeit, dennoch wurde mein wiederholtes Drängen auf eine Begegnung mit dem Emir ignoriert, und die vor der Tür postierten Wachen hinderten mich daran, mein Zimmer zu verlassen.«
»Bis in der achten Nacht drei stämmige Eunuchen – in seidenen Gewändern – kamen und Sie zu dem Audienzraum eskortierten, wo der Emir – ebenfalls in seidener Robe – Sie erwartete. Sie versuchten, ihn über die politische Situation in Zentralarabien auszufragen; er reagierte mit artigen Komplimenten, dieweil
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