Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
keinen Brandy wollen, was ist mit Kaffee oder Tee?«
Er klatschte in die Hände. Der eintretende Diener katzbuckelte so ehrerbietig, dass sein Gesicht fast das Tablett streifte. Einer schroffen Geste Sahins folgend, stellte er es auf einen Tisch neben Ramses und trat, seinen Kopf weiterhin tief gesenkt, den Rückweg an. Die schweren Vorhänge schlossen sich hinter ihm. »Bitte, bedienen Sie sich«, meinte Sahin. »Sie sind nicht vergiftet.« Ramses’ Kehle war schmerzhaft trocken, und er entschied, dass er etwas trinken müsse. Gastfreundschaft zurückzuweisen war ein Affront, und es war unwahrscheinlich, dass Sahin den Getränken irgendein Betäubungsmittel hatte beimischen lassen. Und was hätte es schon ausgemacht?
Also nahm er einen Tee und schlürfte genüsslich, das heiße Glas am Rand haltend, während der Türke in brütendem Schweigen rauchte. Unvermittelt sagte er: »Ich habe eine Tochter.«
»Meinen Glückwunsch«, erwiderte Ramses, sich heimlich fragend, was zum Teufel das mit der ganzen Sache zu tun habe. »Wann ist das glückliche Ereignis eingetreten?«
»Vor achtzehn Jahren.«
»Achtzehn …«
»Ja, sie sollte längst verheiratet sein. Es herrscht kein Mangel an Angeboten. Sie ist hübsch, wohlhabend und gebildet. Sie spricht und schreibt Englisch. Sie ist ein bisschen eigenwillig, aber ich glaube, Ihnen gefallen solche Frauen.« Forschend spähte er zu Ramses, der sich allmählich wie Alice fühlte. In welches Kaninchenloch war er da gefallen? Bestimmt meinte Sahin Pascha nicht … Schweigen schien ihm die sicherste Taktik.
»Der Krieg kann nicht ewig dauern«, fuhr der Türke fort. »Wir werden nicht immer Feinde sein. Sie haben die Eigenschaften, die ich mir von einem Sohn wünschen würde.«
»Aber …« Ramses suchte sich auf taktvolle Weise diesem schmeichelhaften und zugleich schockierenden Vorschlag zu entziehen. Er platzte heraus: »Ich bin bereits verheiratet!«
»Das weiß ich. Aber wenn Sie zum Islam übertreten, können Sie eine weitere Ehefrau haben. Mehr würde ich Ihnen nicht empfehlen. Es bedarf schon einer starken Hand, zwei Frauen zu bändigen, drei machen sechsmal so viel Ärger wie zwei, und vier –«
»Sie machen Witze.«
Sahin grinste noch breiter. »Tue ich das? Es ist eine hervorragende Tradition in meinem Volk. Denken Sie darüber nach. Die Alternative ist weit weniger attraktiv.«
»Was wäre die Alternative?«
»Die Frage erübrigt sich für Sie. Gefängnis, eine Menge Unannehmlichkeiten und letztlich eine Reise nach Konstantinopel, wo Sie etliche Personen treffen müssten, die Sie für einen unserer gefährlichsten Widersacher halten.« Er beugte sich vor, seine Miene bedenklich. »Man wird Sie exekutieren, mein junger Freund, öffentlich und qualvoll, als englischer Spion, aber vor Ihrem Tod werden sie Ihnen alles abpressen, was Sie wissen. Ich selber finde die Folter unannehmbar zur Informationsgewinnung, fürchte aber, dass meine Kollegen vom Geheimdienst meine fortschrittliche Sichtweise nicht teilen. Ich gebe Ihnen die Chance, einem solchen Schicksal zu entgehen. Sie sind kein Attentäter. Ihre Motive sind andere. Ich kann Ihnen einen Tod ersparen, der Ihrer Gattin und Ihren Eltern viel Leid zufügen wird, wenn Sie mir vertrauen und Ihren guten Willen beweisen, indem Sie die von mir vorgeschlagene Verbindung eingehen. Ich versichere Ihnen, das Mädchen ist recht vorzeigbar.«
Zunehmend bestürzter, sich aber dennoch auf seine guten Manieren besinnend, erwiderte Ramses: »Ich bin sicher, sie ist ein Kleinod von seltener Schönheit und ein rechtes Kind ihres Vaters. Indes würden Sie mich verachten, wenn ich meine Grundsätze und mein Vaterland für eine Frau aufgäbe, mag sie auch noch so begehrenswert sein.«
»Sie wären nicht der erste Engländer, der das täte.«
Er fixierte Ramses unablässig, und dieser sann fieberhaft auf eine Reaktion. Er fand sich nicht besonders geistreich; die dämlichsten Fragen schwirrten ihm im Kopf herum, und er musste sich beherrschen, nicht laut herauszuplatzen: »Ist es jemand, den ich kenne?« oder »Sie meinen doch nicht etwa meinen Onkel, oder?« Er überlegte, ob dem Tee nicht vielleicht doch irgendein Mittel beigemischt war, oder ob es an dem Hieb auf den Kopf lag, dass er so benebelt war. Dies konnte nicht Sahins Ernst sein. Er spielte irgendein Spiel mit ihm, und Ramses hatte keinen blassen Schimmer, was er tatsächlich von ihm wollte.
»Das mag ja sein«, setzte Ramses an. Seine Stimme klang seltsam hohl in
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