Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
hörte Vogelgezwitscher und das Plätschern von Wasser.
Das einzig Störende waren seine höllischen Kopfschmerzen. Als er sich an die Schläfe fasste, murmelte eine ihm vertraute Stimme: »Versuchen Sie das. Ich schätze es wahrlich nicht, möchte es meinen Gästen indes nicht vorenthalten.«
Es war kein Traum. Ramses setzte sich auf. Nicht weit von ihm, im Schneidersitz auf einem Stapel gestickter Kissen hockend, hielt Sahin ihm ein Glas hin, halb gefüllt mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
Ramses wollte nicken, überlegte es sich dann aber anders. »Nein, danke«, murmelte er in Türkisch – dieselbe Sprache, die sein Gegenüber benutzt hatte.
»Es ist nicht vergiftet. Aber, wie Sie meinen.« Der andere stellte das Glas auf einen Messingtisch und griff nach dem Mundstück seiner Wasserpfeife. Schweigend rauchte er für eine Weile, wie ein höflicher Gastgeber, der auf eine Reaktion seines Gastes wartet.
Es dauerte eine Weile. Als der Türke ihn bewusstlos geschlagen hatte, rechnete Ramses damit, in einer dunklen, verwanzten Zelle aufzuwachen, umringt von diversen Individuen mit gewichtigen oder glühenden Folterwerkzeugen. Dieser Raum war hell und luftig, vermutlich die Empfangshalle für Gäste. Der zentrale Teil lag etwas tiefer als der Rest, geschmackvoll gefliest in rot, schwarz und weiß, mit einem kleinen Springbrunnen an einem Ende. Der Alkoven, in dem er jetzt saß, war mit Seide ausgekleidet, Kissen bedeckten den Boden. Er trug lediglich ein Hemd und eine Hose; sie hatten seine zerrissene Robe und die schmutzigen Sandalen entfernt und ihn so gut wie möglich gesäubert. Vermutlich wollte man Schalenreste und Eseldung auf den Seidenkissen vermeiden.
»Ich bedaure die Notwendigkeit dieser Maßnahme«, sagte Sahin, als Ramses vorsichtig die Beule an seinem Kopf betastete. »Ich wusste, Sie würden nicht aus freien Stücken mitkommen, und Widerstand hätte Sie um Kopf und Kragen bringen können.«
»Wie kann ich Ihnen jemals danken?«, murmelte Ramses, ins Englische überwechselnd. Der Türke lachte laut auf.
»Ihr Humor ist doch immer wieder erhebend für mich, mein junger Freund. Hat mich gefreut zu hören, dass Sie entgegen meinen Erwartungen diese interessante Mission vor den Toren Kairos überlebt haben. Allerdings kenne ich die Einzelheiten nicht. Wie ist es Ihnen gelungen?«
Ramses erwog die Frage. Sie war mit potenziellen Stolperfallen gespickt, und der freundliche Plauderton, die anheimelnde Umgebung, sollten ihn aus der Reserve locken. Eine neue Vernehmungstechnik? Er zog sie den Methoden, die die Türken normalhin anwendeten, bei weitem vor, dennoch würde er seine Worte mit Bedacht formulieren müssen.
»Meine geschätzte Familie kam zu meiner Rettung.« Er war sich ganz sicher, dass Sahin diese Information zu Ohren gekommen sein musste. »Sie kennen meinen Vater.«
»Nur dem Namen nach. Er hat einen hervorragenden Ruf. Ich hoffe, ich habe irgendwann die Ehre, ihn kennen zu lernen. Also, er hat von Ihrem – äh – Dilemma erfahren – von Ihrem Freund, den ich letztlich nicht töten konnte? Ich hätte es getan, wären Sie mir nicht in die Quere gekommen.«
»Möglich.«
Sahin zog den Rauch tief in seine Lungen. »Sie haben auch eine andere hübsche kleine Sache durchkreuzt, die lange geplant war. Was wollen Sie jetzt wieder? Warum sind Sie hier?«
»Mich einfach nur umsehen.«
»Ich bewundere die Ungenauigkeit der englischen Sprache«, sagte Sahin. »Sehr zweckmäßig, wenn man die Beantwortung einer Frage umgehen will.«
»Ziehen Sie das Türkische vor? Ich jedenfalls finde es gar nicht so leicht, in dieser Sprache zweideutig zu reden.«
Sahins Bart teilte sich, gab seine Zähne frei. »Ich glaube, das könnten Sie in jeder Sprache, mein Junge. In diesem Fall ist es vertane Zeit. Sie wurden auf frischer Tat ertappt. Eine ziemlich aussichtslose Tat, darf ich hinzufügen. In diesem Geschiebe und Gedränge hatten Sie kaum eine Chance, ihn zu töten.«
»Es ist mir also nicht gelungen, oder?«
»Sie haben den Gouverneur getroffen.« Sahin grinste breit. »Eine Fleischwunde an einer besonders unangenehmen Stelle. Er ist nicht gut auf Sie zu sprechen.«
Von einigen anderen ganz zu schweigen. Hieß das, dass Chetwode entkommen war? Viel Glück, Kindskopf, dachte Ramses säuerlich. Er hatte nur seine Befehle befolgt. Er legte seinen Kopf in seine Hände. Der Gedanke an Chetwode verschlimmerte sein Kopfweh.
»Was kann ich Ihnen anbieten?«, fragte Sahin eifrig. »Wenn Sie
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