Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
extravagantes Essen gezaubert – Dosenzunge und Brot und Früchte, und natürlich Tee. Nach einer Weile gesellten sich Selim und Sethos zu uns, Letzterer in frischen Sachen, sein zerzaustes Haar noch feucht.
»Das nenne ich Gemütlichkeit«, frotzelte Sethos. »Eine hübsche kleine Familienzusammenkunft. Ich bin euch die ganze Nacht hinterhergehetzt.«
»Warst du an dem verabredeten Treffpunkt?«, erkundigte ich mich.
»Erst nachdem ihr fort wart. Möchtet ihr wissen, was passiert ist?«
»Mit dem größten Vergnügen«, knirschte Emerson. »Ich musste fliehen«, erklärte Sethos. »Ich habe mich –
ähm – ein bisschen verkalkuliert. Hatte nicht damit gerechnet, dass Sahin so rasch und so entschlossen handeln würde. Er ist ein überaus kompetenter Zeitgenosse, mit einem hervorragend organisierten Netzwerk von Anhängern. Er brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass ihr in Khan Yunus seid. Ihr wart nicht unbedingt diskret, wisst ihr das?«
»Die Enthüllung unserer wahren Identität ließ sich nicht vermeiden«, erklärte ich. »Und, wenn ich das einmal so sagen darf, deine Kritik ist ungerechtfertigt, unter den gegebenen Umständen.«
»Mag sein«, lenkte Sethos ein. »Kann ich jetzt fortfahren?«
»Ich bitte darum«, versetzte ich.
»Wie ich eben anmerken wollte, hat ihn das Verschwinden seiner Tochter schwer getroffen, und er reagierte prompt. Er gab Anweisung, euer Haus anzugreifen.
Immerhin bestand eine Chance, dass das Mädchen bei euch sein könnte. Wenn nicht, hoffte er auf eine Geisel nahme – einen von euch oder auch alle.«
»Woher weißt du das alles?«, warf ich ein.
»Er hat es mir erzählt.« Sethos hatte heißhungrig geschlungen zwischen seinen Ausführungen. Er schluckte einen Bissen Obst und fuhr fort: »Wir hatten eine jener freundlichen kleinen Plaudereien – du kennst sie aus eigener Erfahrung, Ramses. Er erklärte mir explizit, was er vorhatte, und fügte eher verdrossen als verärgert hinzu, dass er mich einsperren werde, weil er mich für unaufrichtig hielte.«
Er biss in ein Stück Brot. Die Pause war reine Effekthascherei, da bin ich sicher; der Mann konnte es einfach nicht lassen, alles zu dramatisieren.
»Darauf hast du ihn geschlagen?« Ramses war ebenso fasziniert wie wir anderen. »Womit?«
»Zunächst einmal nicht, mein Wort darauf. Er wartete nur darauf. Ich knabberte genüsslich an einem Pfirsich.
Den habe ich ihm an den Kopf geworfen. Während er sich Fruchtfleisch aus den Augen wischte und angewidert spuckte, zertrümmerte ich die Wasserpfeife auf seinem Schädel. Das war eine Mordssauerei und machte einen solchen Riesenradau, dass ich ihn gar nicht erst zu fesseln versuchte. Ich schätzte, dass mir etwa eine Minute bliebe, bis sich ein beherzter Diener einschalten würde, also nahm ich die Beine in die Hand – und rannte aus dem Haus und vorbei an den Wachen. Wenn keine Zeit zur Umsicht bleibt, sind Schnelligkeit und Spontaneität die letzte Hoffnung. Es war ein so grässliches Schauspiel, dass ich die meisten damit in die Flucht geschlagen habe«, grinste er. »Der heilige Ungläubige, der mit rudernden Armen Suren aus dem Koran brüllt. Keiner versuchte mich aufzuhalten. Religiöser Wahn ist gefährlich. Ich lief weiter, entledigte mich währenddem meines kostbaren Schmucks und warf diesen auf die Straße, was zur allgemeinen Verwirrung lediglich beitrug. Ich schenkte das letzte Stück – eine sehr hübsche Smaragdbrosche, die ich nur ungern hergab – einem der wachhabenden Offiziere. Mit meinem Segen. Kann ich noch etwas Tee bekom men?«
Ramses brach als Erster das andächtige Schweigen.
»Ich bin ein verfluchter Amateur«, murmelte er. »Verzeihung, Mutter.«
»Du warst gar nicht so übel«, entschied sein Onkel.
»Diese letzte Eskapade war allerdings nicht gut durchdacht. Du hättest dir einen Fluchtweg überlegen müssen, bevor du auf mich geschossen hast.«
»Du glaubst doch nicht, dass Ramses so etwas tun würde?«, echauffierte sich Nefret.
»Aber, aber, beruhige dich. Ich habe nicht angenommen, dass mein reizender Neffe mich wirklich umbringen wollte. Ich gehe davon aus, er hat erkannt, dass ein Attentat auf mich, womöglich noch durch meine früheren Auftraggeber, mich als einen Verräter allererster Güte abstempeln würde. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass er es auf die Spitze treiben und sich überwältigen lassen würde. Eine derartige Komplikation hatte mir gerade noch gefehlt.«
»Ich bitte vielmals um
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