Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
anmutenden Tanz. Geröll rieselte über den glatten Felsen.
Sobald ich Emersons Brille aufgesetzt hatte, nahm die diffuse Silhouette Konturen an. Ihr einziges Kleidungsstück war ein kurzer Rock oder Kilt. Der Körper war der eines Menschen. Der Kopf indes nicht. Spitze Ohren und vorstehende Nüstern waren mit struppigem braunem Fell bedeckt, Reißzähne schimmerten im Kiefer.
Ramses rannte zu der Klippe. Ich wusste, was er vorhatte, und war mir recht sicher, dass Emerson ihm folgen würde. Nefret die Brille in die Hand drückend, zog ich meine kleine Pistole aus dem Holster, zielte und feuerte ab.
Ich ging nicht davon aus, dass ich die Kreatur treffen würde. Offensichtlich gelang mir das auch nicht, denn ein lang gezogenes, spöttisches Lachen, beinahe so schauerlich wie der Schrei dieser Bestie, folgte, und das Ungeheuer verschwand von der Bildfläche.
»Komm sofort zurück, Ramses«, brüllte ich. »Emerson, wenn du versuchst, an diesem Seil hoch zu klettern, werde ich – werde ich dir ins Bein schießen.«
»Komm bloß nicht auf die Idee, diese verdammte Pistole noch einmal abzufeuern«, tobte Emerson und rannte zu mir. »Gib sie mir.«
»Ich hätte nicht wirklich auf dich geschossen, Emerson«, sagte ich, als er die Waffe behutsam aus meiner Umklammerung löste. »Aber mal ehrlich, Emerson, sei doch vernünftig. Wie kannst du eine Klippe besteigen, wenn oben jemand steht, der dich mit ein paar gezielten Steinwürfen vom Seil katapultieren kann?«
»Das klingt plausibel«, räumte Emerson ein. »Genau«, bekräftigte Ramses, der offenbar eine andere Idee hatte. »Wir nehmen den anderen Weg. Nein, du nicht, Bertie, du hast heute schon genug geleistet.«
»Du auch nicht, Peabody«, versetzte mein Gatte. »Bleib hier – und wehr ihn ab, wenn er runterkommt.«
»Dann gib mir meine Pistole zurück«, brüllte ich, als er und Ramses in Begleitung von Selim wegstapften. Emerson blieb nicht stehen, aber seine Antwort war klar und deutlich. »Verdresch ihn mit deinem Schirm.«
Ich klopfte Nefret aufmunternd auf die Schulter. »Keine Sorge, mein Schatz. Wenn sie den Gipfel erreichen, ist er längst über alle Berge.«
»Und warum machen sie sich dann die Mühe?«, wollte Nefret wissen. »Oh, ich verstehe; es ist Vater, natürlich. Er ist fest entschlossen, in dieses verfluchte Grab vorzudringen, koste es, was es wolle.«
»Hmm, das dürfen Sie ihm nicht verübeln«, sagte Cyrus. »Im Innern muss es irgendetwas geben, und dieser Bursche will nicht, dass wir es finden. Sonst hätte er nicht versucht, uns abzuschrecken.«
»Es war ein Geist, ein Dämon«, murmelte Jumana, nervös ihre schlanken, braunen Hände knetend.
Sie lieferte keine sonderlich überzeugende Vorstellung, aber Daoud, der völlig ohne Arg war, tätschelte beschwichtigend ihren Arm. »Wo der Vater der Flüche geht, dorthin wagt sich kein Geist.«
»Das war kein Geist, es war ein Mensch, der eine Art Maske getragen hat«, bemerkte Bertie sachlich. »Wie konnte er nur denken, dass eine dermaßen alberne Vorstellung uns vertreiben würde?«
Das hatte ich mich auch schon gefragt.
Wohl wissend, dass es eine Weile dauern würde, bis Emerson dieses widerwärtige Grab zur Genüge inspiziert hätte, fand ich einen (vergleichsweise) bequemen Sitzplatz und lud die anderen ein, meinem Beispiel zu folgen. Wir vermochten einige ihrer Aktivitäten zu beobachten, wie Zuschauer in einem Theater oder Opernhaus, doch nachdem sie in die Schlucht gestiegen waren, sahen wir nichts mehr. Auch niemand anderen. Das hatte ich auch nicht erwartet.
Als sie schließlich wieder auftauchten und sich an dem Seil herunterließen, waren alle drei entsetzlich verdreckt.
Emerson natürlich am schlimmsten. Er hatte seine Jacke am Vormittag ausgezogen; jetzt trug er nicht einmal mehr sein Hemd. Ich erkannte dieses Kleidungsstück in dem Bündel, das unter seinem Arm steckte. Die bronzefarbene Haut seines Oberkörpers war mit einer ekligen Kruste überzogen – eine Mischung aus Staub, Schweiß, Fledermausexkrementen und Blut von zahllosen Kratzern und Schrammen, und seine Hände sahen noch grauenvoller aus. Er roch auch nicht besonders gut.
»Gütiger Himmel, Peabody, du wirst es nicht glauben, was für ein Chaos sie in dieser letzten Ruhestätte angerichtet haben«, entfuhr es ihm. »Der Boden der Grabkammer ist ein einziger Müllhaufen, verfaultes Holz und verweste Knochen und Geröll.«
Er setzte sich auf der Stelle hin und fing an, sein Bündel aufzuschnüren. Selim,
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