Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
Schließlich tun es alle in Gurneh.«
»Unsere Familie nicht.« Selim bleckte die Zähne. »Mein Vater –«
»Ich weiß, was Abdullah getan hätte«, warf Emerson ein. »Ich verspreche dir, die Familienehre wird wieder hergestellt. Wenn Jamil auch nur einen Funken Verstand besitzt, wird er zu mir kommen, und ich werde ihm die Gelegenheit zur Läuterung geben. Der Vater der Flüche bricht sein Wort nicht!«
»Du brauchst doch nicht so zu brüllen, Emerson«, entfuhr es mir.
»Hmph«, zischte Emerson. »Ach verflucht«, setzte er gereizt hinzu. »Ich habe viel zu viel Zeit mit diesem Unfug verplempert. Morgen fangen wir mit der Arbeit in Deir el-Medina an!«
An besagtem Abend aßen wir etwas verspätet, da Emerson es sich nicht nehmen ließ, noch vor seinem Bad die mitgebrachten Scherben und Splitter zu sortieren. Sie wirkten ziemlich verloren auf den Regalen in unserem Lagerraum – als einzige Artefakte, die wir bislang gefunden hatten. Emerson war dennoch zufrieden und redete während des Essens von nichts anderem. Das Dinner war hervorragend. Wir hatten einen neuen Küchenchef, Maaman, einen von Fatimas Cousins; unser früherer Koch Mahmud war nach langer Überzeugungsarbeit in den Ruhestand getreten. Viele Jahre hatte er unser Zuspätkommen mit angebrannten Suppen und verbrutzeltem Fleisch bestraft.
Nach dem Abendessen, als wir uns in den Salon zurückgezogen hatten und Jumana zum Lernen in ihr Zimmer, gelang es mir, Emerson von dem Thema Archäologie abzubringen. »Ich hoffe, du konntest Selim überzeugen, dass er Jamil uns überlassen muss. Wenn er und die anderen Männer dem Jungen etwas antäten, würde das die Familie auseinander reißen. Nicht alle nehmen die Sache so ernst wie Selim; manch einer sympathisiert vielleicht sogar mit Jamil.«
»Was meinst du, warum ich so lautstark mit Selim diskutiert habe? Ich wollte, dass die anderen, besonders Jumana, alles mit anhören. Der Junge hat nichts getan, außer seine Schwester einzuschüchtern und uns zum Narren zu halten – wenn er es war, den wir gesehen haben. Wir wissen es nicht einmal. Wir wissen auch nicht, ob er diesen Burschen getötet hat oder ob es tatsächlich ein Mord war! Es könnte ebenso gut ein Unfall gewesen sein oder ein Versehen. Diese Grabräuber balgen sich doch ständig. Wir wissen lediglich, dass eine uns unbekannte Person den Toten in diese Haltung gebracht hat, möglicherweise als Warnung oder als Drohung, vermutlich auch nur, um ihn zu verstecken.«
»Das ist ja alles gut und schön, Emerson, aber zwei der ursprünglichen Diebe haben einen gewaltsamen Tod erlitten. Im Zuge der kriminalistischen Ermittlung –«
»Dies ist keine kriminalistische Ermittlung«, stieß Emerson zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir haben keinen Beweis für einen Mord.«
Unerschütterlich fuhr ich fort. »Und wie erklärst du dir die Haltung des Toten? Es handelt sich um ein schwer zugängliches Versteck. Wie hat Jamil – oh, pardon, wer auch immer – den Leichnam dorthin transportiert?«
Emerson reagierte mit einer rhetorischen Frage. »Wie haben die frühzeitlichen Arbeiter diesen verfluchten Sarkophag von Hatschepsut in ihr Felsengrab transportiert? Ihr Grab ist noch unzugänglicher als dies hier, und ein Steinsarkophag erheblich schwerer als ein Mensch.«
»Vielleicht sollte es uns und andere warnen, sich von der Stätte fernzuhalten.«
»In dem Grab war nichts Wertvolles mehr«, erwiderte Emerson. »Außerdem weiß Jamil genau, dass er mir nicht drohen kann.«
Draußen im Gebüsch raschelte es, und Horus sprang durch das geöffnete Fenster herein. Er trug etwas in seinem Maul.
»Ach du meine Güte«, entfuhr es mir. »Es ist keine Maus – dafür ist es zu groß. Eine Ratte. Igitt. Emerson –«
Emerson war zu langsam. Horus schoss an ihm vorbei und legte die Beute vor Nefrets Füße. Dann setzte er sich und fixierte sie.
»Es ist auch keine Ratte«, sagte Ramses. Er griff nach unten und hob das reglose Etwas auf. »Es ist eine Katze – ein Katzenjunges. Tut mir Leid, aber es ist …«
Ein schwaches, aber unüberhörbares Schnurren strafte seine Vermutung Lügen. Das winzige Geschöpf war so schmutzig, dass ich seine Fellzeichnung nicht zu erkennen vermochte.
Nefret sagte sanft: »Katzen schnurren gelegentlich, wenn sie Angst oder Schmerzen haben. Wenn ihm nicht mehr zu helfen ist, erlösen wir es besser von seinem Leiden.«
Die Salontür sprang auf. Sennia stand auf der Schwelle und rieb sich die Augen. »Horus hat
Weitere Kostenlose Bücher