Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
ohne einen Blick zu riskieren, aber Nefret schien sie gar nicht zu bemerken. Sie schritt aus, mit gesenktem Kopf, ihre Hände hinter dem Rücken verschränkt, und sagte: »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass Jamil derjenige gewesen sein könnte, von dem Aslimi diese Artefakte bekommen hat, die du in Kairo gekauft hast?«
»Ich habe daran gedacht, ja. Die Beschreibung passt. Er hat die fraglichen Gegenstände heimlich auf die Seite gebracht, während sie das Grab ausräumten – du musst wissen, sie betrügen einander, wo sie nur können –, und ist von seinem Geldanteil nach Kairo gefahren. Jamil ist nicht übermäßig intelligent, aber er konnte sich ausrechnen, dass ihm die Händler in Kairo bessere Preise zahlen würden als Mohassib.«
»Ja, ganz recht«, murmelte Nefret. »Du bist entsetzlich fixiert, wenn du eine Spur verfolgst, Mutter.«
»Überhaupt nicht, mein Schatz. Ich habe keinerlei Schwierigkeiten, mich gleichzeitig auf mehrere Dinge zu konzentrieren.«
Ihre Stirn glättete sich, ihre Mundwinkel zuckten belustigt. »Solange du keine deiner berühmt-berüchtigten Vorahnungen hinsichtlich Jamil hast.«
Diese Empfindung als Frühwarnsymptom oder Vorahnung zu bezeichnen, wäre nicht ganz korrekt gewesen. Sie beruhte eher auf langjähriger Erfahrung mit der kriminellen Spezies und einer gesunden Portion Zynismus. Erfahrungsgemäß mutieren Kriminelle nicht plötzlich zu rechtschaffenen Menschen. Nach wie vor brauchte Jamil Geld, und er war nicht gut zu sprechen auf uns. Daran hatte sich nichts geändert, und je häufiger wir seine Pläne durchkreuzten, umso unberechenbarer würde er. Mohassib war der bekannteste und meist geschätzte Antiquitätenhändler in Luxor. Er kämpfte seit mindestens zehn Jahren mit dem Tod und lag in ebendiesem Augenblick im Sterben, wie uns sein wachhabender Diener informierte.
»Dann wird er mich vor seinem Ableben bestimmt noch sehen wollen«, erwiderte ich und drückte ihm das erwartete Bakschisch in die Hand.
Er lag im Bett, auf Kissen aufgepfropft, und wirkte wie ein biblischer Patriarch mit seinem schneeweißen Rauschebart; aber er war nicht allein. Ich blieb abrupt stehen, als ich die Albions bemerkte.
»Verzeihung«, sagte ich. »Der Diener hat mich nicht darauf hingewiesen, dass du noch andere Gäste hast.«
»Das macht gar nichts«, entgegnete Mr Albion, der die Angewohnheit zu haben schien, jedes Gespräch an sich zu reißen. »Wir wollten ohnehin gerade gehen. Nett, Sie zu sehen, Mrs Emerson – und Mrs Emerson. Hoffe, Sie sind nicht hergekommen, um für Mohassibs Schätze zu bieten. Ich habe ihm bereits ein Angebot gemacht.«
»Tatsächlich?« Ich nahm mir einen Stuhl, dokumentierte damit meine Absicht zu bleiben. »Ich hatte den Eindruck, dass Sie einen Grabräuber suchen und nicht von Händlern kaufen wollen.«
Mrs Albions Lippen teilten sich, wie ein klaffender Riss in einem Eisblock. »Mr Albion beliebt zu scherzen, Mrs Emerson. Er hat einen wunderbaren Sinn für Humor.«
»Das stimmt«, sagte ihr Gatte aufgeräumt. »Ich bin ein richtiger Witzbold, Mrs Emerson. Man sieht sich.«
Der jüngere Mr Albion, schweigsam wie immer, folgte seinen Eltern.
Nachdem wir die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht und uns nach unserem jeweiligen Befinden erkundigt hatten, bestellte Mohassib Tee für uns und sagte: »Sind das Freunde von dir, Sitt?«
»Nur Bekannte.«
»Gut.«
»Warum sagst du das?«, erkundigte ich mich, hellhörig geworden.
»Es sind merkwürdige Leute. Ich verfüge über eine gute Menschenkenntnis, Sitt Hakim, und würde diesem launigen kleinen Mann nicht trauen. Er will zu viel für zu wenig.«
»Was wollte er denn?«, schaltete Nefret sich ein. »Einen Teil von dem Prinzessinnen-Schatz? Oder gleich alles?«
»Schatz?«, wiederholte Mohassib und riss die Augen auf. Kein Heiliger hätte unschuldiger dreinblicken können. »Ah – ihr habt also auch das Gerücht gehört von einem reichen Fund am Gabbanat el-Qirud? Die Männer von Luxor sind unverbesserliche Lügner. Vielleicht gab es gar keinen Schatz.«
»Komm schon, Mohammed«, sagte ich. »Du weißt, dass es einen solchen Fund gegeben hat, und ich weiß, dass die Diebe ihn dir verkauft haben, und du weißt, dass ich das nicht beweisen kann, und ich weiß, dass es, selbst wenn ich das könnte, kaum wahrscheinlich ist, dass man dir ein Verbrechen anhängt. Warum sprichst du nicht offen zu mir, deiner alten Freundin? Effendi Vandergelt würde gut bezahlen für solche
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