Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
Er und Ramses hatten sich heimlich im Garten herumgedrückt – anders konnte man es nicht nennen. »Jetzt können wir unsere Ausrüstung holen.«
Er hatte Jumana nach Deir el-Medina vorausgeschickt, wo sie die anderen vorwarnen sollte, dass sie sich eventuell verspäten könnten. Selim und Daoud waren bereits dort; sie konnten das Gelände ebenso gut erklären wie er.
Da Emerson der festen Überzeugung war, dass niemand eine Sache besser machen könnte als er, schwante Ramses, dass sein Vater irgendetwas vorhatte. Er musste ihn nicht einmal fragen. Als sie ihre Rucksäcke schulterten und mehrere schwere Seilrollen, sagte er nur: »Wir gehen zu Fuß? Es ist ein langer Marsch bis zum Friedhof der Affen.«
»Eine gute Stunde zu Fuß«, erklärte Emerson. »Es hat keinen Sinn, die Pferde zu nehmen, wir müssten sie ohnehin unterwegs zurücklassen, und ich will die armen Tiere nicht stundenlang der prallen Sonne aussetzen.«
»Soll heißen, du willst Deir el-Medina nicht zu nahe kommen, weil du Bedenken hast, dass Cyrus uns entdecken und fragen könnte, wohin wir wollen. Vater, was soll das Ganze?«
»Ich will nur eine vorbereitende Begutachtung vornehmen.«
Der ausweichende Ton hätte seine Frau gewiss im höchsten Maße misstrauisch gestimmt. »Vorbereitend wofür? Du willst doch nicht etwa Deir el-Medina und Medinet Habu zugunsten der Westwadis aufgeben, oder? Und was ist mit Cyrus? Er wird sich nicht mit einfachen Arbeiterbehausungen zufrieden geben, während wir Gräber von Königinnen suchen.«
Emersons Miene nahm einen hochmütigselbstgerechten Ausdruck an. »Cyrus ist nicht in der Lage, eine derartige Begutachtung vorzunehmen. Er könnte sich verletzen. Das hätte uns gerade noch gefehlt.«
»Also tun wir ihm damit einen großen Gefallen, richtig?«
Emerson betrachtete sein ernstes Gesicht und lachte schallend. »Schön, dass du mir zustimmst, mein Junge. Ich habe mich noch nicht entschieden, wo wir arbeiten werden. Ich möchte mich noch ein bisschen umsehen. Ohne«, setzte er scharf hinzu, »ein halbes Dutzend Leute, einschließlich deiner Mutter, die mir in die Quere kommen.«
Emerson gab ein ordentliches Tempo vor; er hatte darauf bestanden, die schwerere Last zu tragen, was ihn nicht im Geringsten zu beeinträchtigen schien. Obschon er nicht stehen blieb, grüßte er jeden Passanten und beantwortete bereitwillig ihre Fragen. Mehrere erkundigten sich, wohin sie gingen. Emerson sagte es ihnen. Während er mit den langen Schritten seines Vaters mithielt, dämmerte Ramses, dass Emerson eigentlich gar nicht damit rechnete, Jamils Grab selber aufzuspüren. Stattdessen hoffte er, dass Jamil wieder auftauchen werde.
»Glaubst du, dass er dort erscheinen wird?«, fragte er.
»Wer? Oh. Hmph. Er ist da gewesen. Er wird früher oder später einen Fehler machen, und dann sind wir am Zug.«
»Du weißt doch gar nicht, ob er der maskierte Dämon war.«
»Wer denn sonst? Die Gurnawis erlauben sich keine so makabren Scherze.«
»Mutter wird es herausbekommen, das weißt du – vor allem wenn Jamil einen von uns mit einem Felsbrocken treffen sollte.«
»Höchst unwahrscheinlich«, brummelte Emerson. »Andererseits … Es gibt keine bessere Gefährtin als deine Mutter – wenn sie guter Laune ist-, aber Frauen sind einem manchmal im Weg. Insbesondere deine Mutter.«
Ramses grinste, sparte sich indes den Atem für eine Antwort. Er litt nicht unter falscher Bescheidenheit, was seine körperliche Fitness betraf, aber mit seinem Vater mitzuhalten, fiel selbst ihm schwer. Emerson musste sich für einen seiner berühmt-berüchtigten »Rundwanderwege« entschieden haben, denn sie erkletterten bereits einen steilen, gewundenen Pfad, der sie schließlich im weiten Bogen um Deir el-Medina und das Tal der Königinnen führen würde.
Sie waren spät aufgebrochen und Emerson von daher in Eile. Sobald sie den höchsten Punkt des Pfades erreicht hatten, kamen sie auf dem relativ ebenen Felsplateau schneller voran. Gedankenversunken folgte Ramses seinem Vater.
Er wollte weder hier noch in Medinet Habu sein. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie sich in dieser Saison auf Deir el-Medina konzentriert. Er hatte das nicht explizit erwähnt, und offenbar machte die Faszination für Tempel seinen Vater blind gegen das, was Ramses sah: eine einzigartige Gelegenheit, mehr über das Leben der gewöhnlichen Ägypter zu erfahren, nicht über Pharaonen und Adlige, sondern über Männer, die hart arbeiteten für ihren
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