Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
der Assistent nicht lange. »Die darf ich zwar eigentlich nicht herausgeben, Vater der Flüche, aber in diesem Fall hat er bestimmt nichts dagegen.«
Der Polizeichef hatte eine Mietwohnung in einem der neuen Gebäude hinter dem Luxor Tempel. Eine ältere, schwarz verhüllte Dame öffnete die Etagentür und verschwand fluchtartig, als sie Emerson erblickte.
»Was hab ich denn gemacht?« fragte Emerson mit gekränkter Stimme. »Ich wollte doch nur höflich mit ihr plaudern.«
»Deine bloße Präsenz genügt, um die Ärmste zu erschrecken, mein Lieber«, erwiderte ich. »Ah, Inspektor Ayyid. Sie müssen vielmals entschuldigen, daß wir Sie und die Dame – Ihre Mutter? – so ohne Vorankündigung überfallen. Aber es ist wirklich dringend. Bitte, essen Sie erst in Ruhe.«
»Ich war nicht beim Essen«, sagte Ayyid höflich. »Kommen Sie doch herein.«
Der kleine Wohnraum war so blitzsauber, daß er selbst Fatimas kritischem Auge standgehalten hätte, und geschmackvoll mit europäischen und ägyptischen Möbeln ausgestattet.
Auf Ayyids Drängen ließen wir uns in zwei dunkelroten Samtsesseln nieder und nahmen seine Einladung zum Tee an. Abzulehnen wäre unhöflich gewesen – noch weitaus unhöflicher als unser Überraschungsbesuch. Ayyids Mutter war über den ersten Schock hinweg und beobachtete heimlich Emerson.
»Wir halten Sie nicht lange auf«, versprach ich und schilderte ihm unverblümt den Grund für unser Kommen.
»Papyrus?« Ayyid zog skeptisch die Brauen hoch. »Sie wollen, daß ich einen Mann verhafte, der wertlose Papyrusfragmente gestohlen hat?«
»Es sind kostbare Artefakte«, hob Emerson an. »Ähm … das heißt … ach was soll’s! Wir können auch gleich mit der Wahrheit rausrücken, was meinst du, Peabody?«
Es war ein cleverer Schachzug von Emerson, das muß ich neidlos zugeben. Ayyid fühlte sich geschmeichelt, daß wir ihn ins Vertrauen zogen. Zudem teilte er unsere Ansicht, daß der wahre Sachverhalt nicht unbedingt publik werden müsse.
»Die Versuchung wäre zu groß, selbst für meine eigenen Leute«, räumte er ein.
»Für die meisten Leute«, bekräftigte Emerson, der an jenem Tag zu Höchstform auflief. »Also, was ist? Erteilen Sie jetzt die erforderlichen Anweisungen?«
»Ja. Er soll für eine Vernehmung ins Kommissariat gebracht werden – auf Ihre Veranlassung, Professor.«
Emerson grinste. »Hervorragend formuliert, Inspektor.«
Unvermittelt fiel mir ein, daß wir Cyrus die neueren Entwicklungen noch nicht dargelegt hatten. Sobald wir nach Hause zurückkehrten, schickte ich Jamad mit einer Mitteilung zum Schloß. Darin lud ich die Vandergelts nach dem Abendessen zu uns ein. Wir waren noch nicht fertig, als sie allesamt eintrafen.
»Was ist passiert?« fragte Katherine als erstes. »In Ihrer Nachricht stand lediglich, daß es dringend sei. Ist jemand krank oder verletzt?«
»Nein, nein«, beruhigte ich sie. »Ich hielt es nur für besser, schriftlich nicht ins Detail zu gehen. Die Lage ist nämlich äußerst kritisch. Mr. Lidmann war heute morgen hier, hat uns aber nicht angetroffen. Und am Nachmittag stellten wir fest, daß die Statue verschwunden ist.«
»Und das sagen Sie uns erst jetzt?« rief Bertie. »Gütiger Himmel, das ist ja entsetzlich. Was kann man da machen?«
In der mir eigenen sachlich-knappen Form legte ich dar, welche Schritte wir bereits eingeleitet hatten.
»Das hat Sie aber ganz schön auf Trab gehalten, was?« Cyrus nickte gedankenvoll. »Tja, schlimme Geschichte, trotzdem, Leute, damit kommt der Bas … Bursche nicht durch. Solange er die Stadt nicht verläßt – und das klingt mir ganz danach –, kriegen wir ihn früher oder später. Überlassen Sie die Suche ruhig Selim und Daoud. Mit ihren vielen Informanten stellen die Lidmann bestimmt. Sagen Sie uns einfach Bescheid, wenn wir Sie unterstützen können.«
Sethos kehrte erst gegen Mitternacht zurück. Ayyid war persönlich am Bahnhof gewesen. Lidmann hingegen war nicht dort aufgetaucht.
»Teufel noch, wo kann der Bursche bloß sein?« brummte Emerson zwischen zwei Bissen Ei und Speck. Daoud und Selim hatten uns über ihre Nachforschungen berichtet und leisteten uns beim Frühstück Gesellschaft.
»Das wüßte ich auch gern«, seufzte Daoud.
»Und du bist dir sicher, daß er nirgendwo am Westufer gesehen wurde?« wollte ich von Selim wissen.
»Bisher nicht, Sitt Hakim. Aber irgendwann wird er etwas essen müssen und Wasser und ein Dach über dem Kopf brauchen. Unsere Dörfer sind klein,
Weitere Kostenlose Bücher