Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
haben«, meinte Ramses. »Glauben die Kurnawis etwa, wir hätten die Statue bei unseren Exkavationen gefunden?«
»Stimmt es denn nicht?« wollte Daoud wissen.
Selim warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Das weißt du doch ganz genau, Daoud. Die Dame hat sie Emerson gegeben, und der Sohn wollte sie wieder zurückhaben.«
»Ach ja, richtig.« Daoud strich sich über den mittlerweile stark ergrauten Bart. »Das hatte ich vergessen. Manche Kurnawis wollen diese Version aber trotzdem nicht wahrhaben.«
»Zwei derartige Spezialisten sind uns heute morgen über den Weg gelaufen«, bekräftigte Ramses. »Deib und Aguil. Und es gab noch einen dritten Mann, der in unsere Richtung geschossen hat.«
»Er hat es gewagt, auf den Vater der Flüche zu schießen?« Daoud blies empört die Backen auf. »Wer war das?«
»Vermutlich ein Europäer. Deib beteuerte, er habe ihn noch nie gesehen und könne ihn nicht beschreiben.«
»Deib lügt noch dreister als Kareem«, stieß Selim hervor. »Die beiden haben einen weiteren Bruder, Farhat. Er ist ein ausgemachter Bösewicht, Ramses, und hat ständig Ärger mit der Polizei. Wie konnte er es nur wagen.«
»Den werde ich mir mal vorknöpfen«, meinte Daoud.
Wahrscheinlich hat Selim recht, überlegte Ramses. Und Emerson wußte das auch und ahnte vermutlich, daß die Brüder ihn hinsichtlich der Identität des dritten Mannes angelogen hatten. Trotzdem hatte sein Vater nicht mehr Druck auf sie ausgeübt. Warum?
»Ja, das machen wir«, unterbrach Selim Ramses’ Gedankengänge. »Ist die Statue echt? Aus welcher Periode stammt sie?«
»Amarna. Ja, sie ist echt. Wir wissen nicht, wann sie gefunden wurde und von wem Petherick sie erwarb. Falls ein solches Objekt in Luxor aufgetaucht wäre, hättet ihr doch sicher davon erfahren, oder?«
Selim strich sich über seinen gepflegten Bart. »Man hört dauernd irgendwelche Gerüchte von überwältigenden Entdeckungen. Zumeist ist es Lüge und Aufschneiderei. Und wenn der Fund schon sehr lange zurückliegt, ist er mir vielleicht nicht bekannt. Bist du sicher, daß die Statue aus Theben stammt?«
Ramses schüttelte den Kopf. »Es ist lediglich eine Vermutung.«
Ihre Schritte führten sie zu dem hübschen kleinen Grabmal, das David für seinen Großvater Abdullah entworfen hatte. Es war das auffälligste und meistbesuchte Monument auf dem kleinen Friedhof, da Abdullah wie ein Heiliger verehrt wurde. Vor der Öffnung waren Schnüre gespannt, auf denen sich anrührende Opfergaben reihten: Perlen, Schmuckbänder, kleine Amulette. Der gegenwärtige »Diener des Scheichs« und Wächter der Grabstätte saß mit gesenktem Kopf auf dem Boden und meditierte. Um ihn nicht zu stören, verharrten die drei in respektvoller Entfernung und schwiegen andächtig.
Ramses erinnerte sich an das erste Mal, als er Abdullahs Grab gemeinsam mit seiner Mutter besucht hatte, noch vor der Fertigstellung des Monuments. Sie hatte kleine Amulette mit den Motiven der alten Gottheiten auf dem Grab verstreut. Nie hatte sie ihm erklärt warum, und er hatte auch nicht danach gefragt; aber es schien sie zu trösten, und diesen Seelentrost hatte sie damals bitter nötig gehabt. Im Laufe der Jahre hatten der altehrwürdige Ägypter und die Engländerin trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Glaubensanschauungen eine enge Beziehung aufgebaut, die mit rationalen Begriffen nicht erklärbar war. Aber schließlich, sinnierte Ramses, war die Liebe nun einmal nicht rational, oder?
»Jetzt erzähl uns doch von dem Mann mit der Waffe und seiner Schwester«, drängte Daoud in Erwartung einer dramatischen Schilderung nach der Enttäuschung mit dem Schatz.
Aber auch hier wurde er enttäuscht. Ramses klärte ihn schonungslos über die Pethericks auf.
»Was für eine merkwürdige Familie!« rief Selim. »Wird sie euch wieder Ärger machen? Ist das der Grund, warum ihr eine Mauer errichten wollt?«
»Keine Mauer, nur eine Art Wachposten, um ungebetene Besucher abzuwimmeln«, erklärte Ramses und nahm sich vor, ein ernstes Wort mit dem redseligen Kareem zu wechseln.
»Und was ist mit dem bösen Omen?« erkundigte sich Daoud gespannt. »Wird der Vater der Flüche den Dämon vertreiben?«
Emersons Geisterbeschwörungen erfreuten sich ungeheurer Beliebtheit. Ramses vermochte die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß sein Vater dergleichen plante. Seine Familie hatte definitiv einen Hang zum Theatralischen, liebte Camouflage und Schauspielerei. Und es stand ihm gewiß nicht zu, Kritik
Weitere Kostenlose Bücher