Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
herum. »Seinerzeit haben Sie ihm gegenüber aber nicht erwähnt, was wir Ende der letzten Saison besprochen haben. Unsere geänderten Pläne, wissen Sie noch, Emerson? Das Französische Institut hat Interesse an einem langfristigen Projekt in Deir el-Medina angemeldet.«
»Pffft.« Emerson tat so, als träfe ihn die Nachricht völlig überraschend.
»Was, Emerson?« sagte ich verblüfft. »Du willst Deir el-Medina aufgeben? Das hättest du aber zumindest vorher kurz mit deiner Familie besprechen können.«
»Das hatte ich noch vor«, meinte Emerson ausweichend. »Cyrus hat sich offenbar schon mit dem Gedanken angefreundet. Wohl keine Lust mehr auf langweilige kleine Privatgräber, was, altes Haus?«
Nach kurzem Überlegen legte unser Freund seinen Standpunkt dar. »Ich war neulich in Deir el-Bahari, wo die Crew vom Metropolitan Museum arbeitet. Die Leute haben ungeheuer faszinierende Sachen gefunden. Einen Königinnensarkophag mit gemalten Szenen im Innern – herrliche Farben von einer Leuchtkraft, als wäre er erst gestern fertiggestellt worden.« Er seufzte ausgiebig.
»Stimmt«, konstatierte Emerson. »Aber an eine Grabungslizenz in ihrem Bereich ist gar kein Denken, Vandergelt.«
»Nein, aber es gibt noch andere mögliche Gebiete.«
»Sie meinen mögliche neue Gräber«, konterte Emerson. »Ist das alles, woran Sie denken, Cyrus? Unsere Exkavationen in Deir el-Medina haben doch eine Menge zum Vorschein –«
»Sicher doch. Aber seien Sie mal ehrlich, Emerson. Sie verlieren allmählich auch das Interesse, oder? Letztlich sind Sie auf Tempel fixiert und ich auf Gräber.«
»Na schön. Ihnen zu Gefallen bespreche ich die Angelegenheit mit Lacau. Auf Wiedersehen, Peabody, meine Liebe. Ich bin bald zurück.«
Die Motivation meines Ehemanns war mir jetzt klar. Emerson wollte Deir el-Medina erst aufgeben, wenn sich ein funkelnder Silberstreif am Horizont zeigte. Er hatte nämlich ein Auge auf das Tal der Könige geworfen. Nach meinem Dafürhalten standen seine Chancen jedoch schlecht. Lord Carnarvon besaß schon seit Jahren die entsprechende Konzession und hatte bestimmt keinerlei Ambitionen, diese jemals aufzugeben.
Aus Manuskript H
Nachdem er seinem Sohn diverse Instruktionen erteilt hatte, reiste Emerson ab.
Im Anschluß daran bereitete sich Ramses mit seiner Familie auf den Freitagsausflug zu Selim und dessen Angehörigen vor, den die temperamentvolle Carla und der etwas überlegte David John immer sehr genossen.
Aufgrund ihres Besuchs hatten sich weitere Verwandte Selims eingefunden, darunter ihr stellvertretender Reis Daoud und dessen Frau Khadija, die die jungen Emersons mit fürsorglicher Skepsis musterte.
»Deine Hände, Ramses. Was hast du gemacht?« meinte sie mißfällig.
»Gegraben«, räumte Ramses ein. »Bitte, Khadija, nicht die grüne Salbe! Es sind doch nur ein paar Kratzer!«
Sie war bereits im Haus verschwunden.
»Gegraben, wo?« Selim war hellhörig geworden. Schlank und hochgewachsen, ihnen zu Ehren in seinen besten Wollumhang gehüllt, beobachtete er grinsend, wie Khadija Ramses mit ihrer berühmten Salbe malträtierte. Ein überliefertes Rezept aus ihrer nubischen Familie mit erstaunlicher therapeutischer Wirkung, hinterließ das Medikament jedoch schwer zu entfernende Flecken auf Haut und Kleidung.
»Im Tal der Könige«, antwortete Ramses. »Nicht weit von Siptahs Grabstätte.«
Selims ausdrucksvolle dunkle Augen weiteten sich. »Wieso ausgerechnet dort?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Dann erzähl sie uns«, meinte Daoud aufgeräumt. »Berichte uns von den goldenen Statuen und dem Mann mit der Waffe.«
Heiliges Kanonenrohr, er hätte sich gleich denken müssen, daß Fatima die Geschichte weitertrug, überlegte Ramses. Schließlich hatte sie niemand um Diskretion gebeten, und ihr neuer »Gehilfe« Kareem war eine notorische Plaudertasche. Er beschloß, Daoud, dem selbsternannten Geschichtenschreiber in der Familie, und Selim, der sämtliche Grabräuber und Händler in Luxor kannte, reinen Wein einzuschenken.
Im Dorf selbst war ein vertrauliches Gespräch jedoch unmöglich. Deshalb machten sie sich einvernehmlich auf den Weg zu dem kleinen Friedhof, und Ramses begann mit seiner Schilderung.
»Nur eine Statue?« erkundigte sich Daoud, sichtlich enttäuscht. »Ich dachte, es wären viele, und auch kostbare Juwelen.«
»Kareem ist ein ausgemachter Lügner«, stellte Selim fest.
»Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, daß andere die Geschichte aufgebauscht
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