Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
morgendlichen Ausflügen zurückgekehrt, auf das Mittagessen warteten. Wir wurden schon erwartet; kein geringerer als der Hoteldirektor Mr. Salt informierte uns, daß Mrs. Petherick umgehend von unserer Ankunft in Kenntnis gesetzt werden wolle, um uns dann in der Lobby zu treffen.
Statt den Aufzug zu nehmen, schwebte sie effektvoll die elegant geschwungene Treppe hinunter. Eine schwarze Spitzenmantille umrahmte ein Gesicht, das mich automatisch an die Vampirgestalten in ihren Romanen erinnerte – schwarz umrahmte Augen, blutrote Lippen und bleiches (puderbespachteltes) Gesicht. Sie reichte Emerson ihre schwarz behandschuhten Finger zum Kuß, doch der begnügte sich mit einem kräftigen Händeschütteln.
»Wie gut, daß Sie gekommen sind«, hauchte sie. »Ich brauche wirklich Ihren Beistand. Heute nacht habe ich ihn erneut gesehen. Wann, oh wann werden Sie die Zeremonie durchführen, die mich endlich befreit?«
Wie von ihr geplant, horchten die umstehenden Gäste auf. Ein anschwellendes Raunen ging durch die Menge.
»Ihn? Wen denn?« fragte Emerson irritiert.
Ihre Stimme senkte sich zu einem unangenehm schrillen Flüstern. »Er hat keinen Namen. Der gesichtslose Schatten, der meinem geliebten Gatten das Leben geraubt hat, ist mir auch hierher gefolgt.«
Seine Züge absolut kontrolliert, drehte Ramses seinen Hut in der Hand. »Das war doch dann das dritte Mal, oder? Hatten Sie nicht gesagt, der dritte Besuch sei der letzte?«
»Da haben Sie mich mißverstanden.« Mrs. Petherick schwindelte, ohne rot zu werden. »Aber er wird wiederkommen, und das nächste Mal –«
»Kommen Sie mit, Mr. Salt hat im Speisesaal einen Tisch für uns reserviert.« Ich packte sie unsanft am Arm.
Mit Emerson war an jenem Mittag nicht gut Kirschen essen. Sobald wir bestellt hatten, fixierte er Mrs. Petherick mit eindringlichem Blick. »Lassen Sie uns Tacheles reden, Madam. Wissen Sie überhaupt, daß Ihre Stiefkinder gestern abend in unser Haus eingedrungen sind? Und daß der junge Mann uns mit einer Pistole bedroht hat?«
»Der arme Adrian«, murmelte die Dame. »Er hat entsetzlich viel durchgemacht, und er hängt sehr an mir. Von ihm droht Ihnen bestimmt keine Gefahr.«
»Aber von jemand anderem?« versetzte ich.
»Hör auf damit«, erregte sich Emerson. »Willst du sie vielleicht noch ermutigen? Mrs. Petherick, als Sie uns das – äh – Objekt übergaben, wußten Sie da von seinem Wert?«
»Aber ja. Pringle beteuerte, es sei das kostbarste Artefakt in seiner Sammlung.«
Emerson zog das Kästchen aus seiner geräumigen Jackentasche und legte es auf den Tisch. »Ich darf davon ausgehen, daß Sie die rechtmäßige Besitzerin sind?«
»Ja, sicher.« Wie gebannt starrte sie auf das Kästchen.
»Wie Sie sich vorstellen können, Madam, solche Geschenke akzeptiere ich prinzipiell nicht. Ich gebe es Ihnen zurück oder kaufe es Ihnen ab, das liegt ganz bei Ihnen.«
Ihr manikürter Fingernagel streichelte die bemalte Oberfläche. Mit einer unvermittelten Bewegung hob sie den Deckel und nahm die Statue heraus.
»Ich dachte, Sie wollten dieses boshafte kleine Gesicht nie wiedersehen«, merkte Ramses an.
»Mein geliebter Pringle war so stolz auf diese Statue. Er liebte sie so sehr.« Sie hielt das Artefakt hoch, schwenkte es über ihrem Kopf.
»Hölle und Verdammnis«, schnaubte Emerson. In diesem Fall konnte ich ihm die Kraftausdrücke nicht verdenken. Mrs. Petherick unternahm nämlich soeben den plumpen Versuch, die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf unseren Tisch zu lenken.
»Legen Sie es weg, Madam«, knirschte Emerson.
Mrs. Petherick rollte die Augen himmelwärts und entblößte ein Gebiß mit beachtlich langen Eckzähnen. Leises Gemurmel erhob sich im Raum, an den weiter entfernten Tischen war man zwecks besserer Sicht aufgestanden.
Emerson schnappte ihr kurzerhand die Statue weg und legte sie wieder in die Schachtel. »Und, wie haben Sie sich entschieden?«
»Nehmen Sie sie an sich, Professor Emerson. Sie haben mein volles Vertrauen.«
Sie hatte ihr Ziel erreicht, für allgemeines Interesse zu sorgen. Unsere Fragen brachten keine nennenswerten Antworten: Sie kenne den Namen des Händlers nicht, von dem ihr Mann die Statue erworben habe. Wahrscheinlich irgendwo in London … Ja, sie spiele mit dem Gedanken, die Sammlung in nächster Zeit zu veräußern. Momentan werde diese von einem Sachverständigen geschätzt.
»Und was ist mit der Statuette?« wollte Ramses wissen. »Ist sie nicht Teil der Kollektion?«
Mrs.
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