Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
Kinderzimmerfenster waren verriegelt, damit die lebhaften Kleinen nicht unbeobachtet hinaus- und Fremde hineinkonnten. Vor Jahren hatte jemand Carla terrorisiert, indem er flüsternd vor ihrem Fenster herumspukte. Und für einen möglichen Dieb, der es auf die Statuette abgesehen hatte, wäre es ein leichtes gewesen, diese auf erpresserische Weise zu bekommen. Im Austausch für einen seiner Enkel hätte Emerson nämlich nicht nur die Statue herausgerückt, sondern sein gesamtes Hab und Gut.
Wie nahezu allabendlich blieb Ramses an der Kinderzimmertür stehen und betrachtete die schlafenden Kleinen. David John schlummerte flach auf dem Rücken, Arme und Beine ausgestreckt, sein Kopf leicht nach hinten gereckt. Carla dagegen wand und wälzte sich im Schlaf, manchmal lag sie mit dem Kopf am Fußende, das Nachthemd wild verdreht um ihren winzigen Körper. Die beiden sahen so schützbedürftig aus. Von väterlicher Liebe übermannt, traf ihn die entsetzliche Vorstellung, daß ihnen ein Leid geschehen könnte, wie ein Messerstich.
Nefret lag schon im Bett. Bei seinem Eintreten öffnete sie schlaftrunken die Lider. »Du warst lange weg«, murmelte sie.
»Ich habe die Kinder eine Weile beobachtet. Carla ist nachts fast so aktiv wie tagsüber.«
»Vermutlich warst du in ihrem Alter nicht anders«, kicherte Nefret schläfrig. »Kommst du jetzt ins Bett?«
Ein reizvoller Vorschlag, allerdings schüttelte er wegen seiner inneren Rastlosigkeit den Kopf. »Nachher. Ich mache noch einen kleinen Spaziergang.«
Die Sterne schienen hell, der Mond schwebte wie eine silberne Sichel am dunklen Firmament. Am liebsten hätte er sich die ganze Nacht unter die Fenster seiner drei Lieben gesetzt und sie bewacht. Allerdings hatte er einen leichten Schlaf und hätte ohnehin auf das kleinste Geräusch reagiert, zudem hielt Daouds Sohn Ali Yussuf im Innenhof des Haupthauses Wache.
Dennoch schlenderte Ramses nervös auf und ab. Wir brauchen einen Hund, entschied er schließlich. Ich werde mich gleich morgen darum kümmern.
Auf dem Rückweg zum Haus erstarrte er unvermittelt. Ein Geräusch, schrill und spitz wie der Schrei eines Raubvogels, trieb ihn zur Umkehr. Er stürmte in Richtung Haupthaus.
Das Hoftor war verschlossen und er sah niemanden, er hörte jedoch die Stimme seiner Mutter, die sich über Ali Yussufs Protestgeheul erhob.
»Du bist nicht ernsthaft verletzt. Hör auf zu jammern und erzähl mir, was passiert ist!«
Ramses verschwendete keine Zeit. Er zog sich an der Hofmauer hoch und sprang auf der Innenseite zu Boden. Seine Mutter, züchtig in einen voluminösen Morgenmantel gehüllt, hielt Ali Yussufs Gesicht umklammert. Sie spähte zu Ramses.
»Nur ein Schlag auf den Kopf«, erklärte sie kurz und bündig.
Ali Yussuf entzog sich ihr und stöhnte dramatisch: »Ich habe versagt.«
Ramses klopfte dem jungen Mann tröstend auf die Schulter. »Erzähl uns lieber, was passiert ist.«
Ali Yussuf hätte vermutlich niemals zugegeben, daß er eingenickt war, aber genauso verhielt es sich, denn sonst hätte er den Eindringling bestimmt früher bemerkt.
»Schwarz. Ganz schwarz, wie ein Schatten«, murmelte der Junge. »Ich hatte keine Furcht, Bruder der Dämonen … Und wenn, dann nur ein bißchen. Als es von der Mauer sprang, habe ich mich darauf gestürzt und es festgehalten. Ich habe geschrien – aber nicht aus Angst, sondern zur Warnung, wie du gesagt hast.«
»Und dann hat es dich geschlagen«, wollte Ramses wissen. »Das schwarze Schattenwesen?«
Seine Mutter strich dem Jungen übers Haar. »Sei nicht so grob mit ihm, Ramses. Er hat sich tapfer gehalten. Sein Hilfe … – äh – Warnschrei hat mich geweckt, aber als ich Licht gemacht hatte und ans Fenster kam, erblickte ich nur flüchtig eine Silhouette, die über die Mauer sprang.«
»Sicher hattest du deinen Degenschirm dabei«, bemerkte Ramses.
»Natürlich. Meine Güte, bist du heute abend zynisch. Im übrigen räume ich gern ein, daß ich nicht mehr als ein paar Hosenbeine gesehen habe und das auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.«
»Schwarz?«
»Nein«, erwiderte seine Mutter sachlich-gefaßt. Sie beugte sich vor, hob etwas vom Boden auf und hielt es Ramses hin. »Aber du gibst doch zu, daß das hier schwarz ist, nicht wahr?«
Es war ein langes Gewand, mit weiten Ärmeln und Kapuze wie eine mittelalterliche Mönchskutte.
Wie vereinbart tauchten Selim und Daoud am nächsten Morgen auf. Sie hatten bereits von dem mitternächtlichen Zwischenfall erfahren
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