Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
dann ohne Sie im Tal gewesen?«
»Das war etwas ganz anderes, Sir.« Unser betagter Butler straffte seine eingesunkenen Schultern.
»Ah, pah«, brummelte Emerson. »Also gut, von mir aus.« Als Gargery sich feixend trollte, fügte er hinzu: »Wir dürfen den alten Knacker keine Sekunde lang aus den Augen lassen.«
Trotz Emersons ahnungsvoller Skepsis (die er selbst wohlweislich mit »gesundem Menschenverstand« umschrieben hätte) hatten wir kein Problem damit, auf Gargery aufzupassen. Fröhlich beschwingt hielt er Schritt mit Sennia, die ihm nicht von der Seite wich. Wir einigten uns darauf, uns zum Tee im Winter Palace einzufinden. Und nachdem wir uns in Grüppchen aufgeteilt hatten, zog ich gemeinsam mit Carla, Ramses und David los.
Carla wirkte ungewöhnlich still. Ihre kleine Handtasche umklammernd, inspizierte sie die auf der Corniche feilgebotenen Waren ohne großes Interesse. »Ich möchte David John ein Buch schenken«, wisperte sie. »Aber er hat schon alles gelesen.«
Lachend umarmte ich sie. »Du brauchst nicht zu flüstern. Er ist nicht hier.«
»Wir haben einige Bücher für ihn mitgebracht«, sagte David. »Und in den Weihnachtspäckchen aus England sind sicher auch noch welche.«
»Aber sie sind nicht von mir.« Carla war untröstlich. »Und ich hab nicht genug Geld, um schöne Geschenke für Opa und Mama und Sennia und Selim und Fatima und Kareem und all die anderen zu kaufen.«
»Vielleicht hast du einfach zu viele Freunde«, resümierte ich.
Carla fand das überhaupt nicht lustig. Unwillig ihr Lockenköpfchen schüttelnd, gab sie zurück: »Du sagst doch immer, dass man nie genug Freunde haben kann, Großmama.«
»Das ist richtig.« Ich bedauerte meinen kleinen Scherz, denn sie schien ehrlich betrübt. Trotz der vielen Flausen, die sie im Kopf hatte, war sie nämlich ein reizendes kleines Seelchen.
»Deine Freunde wollen gar keine teuren Geschenke«, warf Ramses ein. »Was hältst du davon, wenn du allen, die du sehr magst, einen lieben Brief schreibst?«
»Ein fabelhafter Einfall«, bekräftigte ich. Zudem könnte sie sich damit stundenlang beschäftigen.
»Ich kann keine Bilder malen und ich hab auch keine besonders schöne Schrift«, maulte Carla. »Ich bin eben nicht so klug wie David John.«
Ich fing Ramses’ Blick auf und entdeckte darin einen Anflug von Schuldbewusstsein. Mir ging es ähnlich. Wieso hatten wir nicht bemerkt, dass sich Carla zurückgesetzt fühlte, weil wir sie dauernd (und häufig zu Recht) tadelten, während wir David John mit Lob überschütteten? Als begeisterter Hobbypsychologin hätte mir klar sein müssen, dass das zu Frustration und Trotzreaktionen führte.
»Doch, das bist du«, sagte ich mit Nachdruck. »Du hast andere Begabungen, aber sie sind genauso wertvoll wie die deines Bruders.«
Ramses bestätigte dies, ohne jedoch erkennbaren Eindruck bei seiner untröstlichen Tochter zu hinterlassen.
»Ich hab’s, Carla«, schaltete sich David ein. »Wir zwei setzen uns zusammen und überlegen uns was. Soweit ich weiß, kannst du prima mit der Schere umgehen. Vielleicht hat deine Großmama noch ein paar alte Zeitschriften. Wir können die hübschesten Fotos ausschneiden und kleine Bücher daraus binden.«
»Wir helfen alle«, sagte ich mit einem dankbaren Nikken zu David.
»Aber nur ein bisschen.« Carlas Gesichtchen hellte sich auf. »Sonst sind es ja nicht meine Geschenke.«
Mit Carlas begeisterter Unterstützung kauften wir die erforderlichen Materialien für die kleinen Bücher – Buntpapier, Farbstifte und leuchtende Bänder, um die Seiten zusammenzuhalten – und schauten kurz bei meiner Freundin Marjorie Fisher vorbei, die uns packenweise alte Zeitschriften mitgab. Zum Dank umarmte Carla sie stürmisch.
Auf dem Rückweg zum Winter Palace war Carla wieder ganz die alte. An der Hand ihres Vaters über den Gehsteig hüpfend, malte sie sich in glühenden Farben die Süßigkeiten auf ihrem Weihnachtsteller aus. David und ich folgten den beiden. Wir trugen Carlas Einkäufe, damit niemand merkte, dass sie von ihr waren. (Dank heimlicher Verhandlungen mit den Ladenbesitzern hatte ihre kümmerliche Barschaft letztlich doch gereicht.)
»Danke David«, sagte ich mit gesenkter Stimme. »Ich schäme mich richtig, dass ich Carlas Talente nicht öfter gewürdigt habe. David John wird von allen über den grünen Klee gelobt.«
»Ich bin Fachmann für eifersüchtige Geschwister.« David lachte. »Das ist anstrengender als jede Exkavation.«
Die anderen
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