Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
auf mich – und auf euch – abgesehen. Ich führte sie nach Kräften an der Nase herum – so lautete nämlich meine Anweisung. Der Grund, wie Amelia zweifelsfrei schloss, war festzustellen, wer diese Leute sind. Nicht die angeworbenen Unholde, sondern die Verantwortlichen an der Spitze der Bewegung. Früher oder später würden ihre Subalternen umkippen, bis irgendwann einer aus der Deckung käme. So räsonierten wir jedenfalls.
Das mit dem Malariaschub war Pech. Ich wollte euch nicht zur Last fallen, aber was blieb mir anderes übrig? Zudem zeichnete sich bereits ab, dass sie euch in jedem Fall ausspionieren würden. In gewisser Weise war das gar nicht ungeschickt, da es den Fokus eingrenzte. Meine neuen Instruktionen lauteten nämlich, gelassen abzuwarten und nichts zu überstürzen.«
Er brach ab und trank einen Schluck Wasser. »Na bravo«, schnaubte Emerson. »Und während du lässig abgewartet hast, gingen sie auf uns und den armen alten Gargery los.«
»Das war nicht geplant«, beteuerte Sethos. »Keine Ahnung, wieso sie sich an ihn ranmachten, aber immerhin blieb er unversehrt. Bei genauerem Überlegen müsst ihr doch zugeben, dass niemand von der Familie zu Schaden kam – nur Leute wie der heilige Mann, den man irrtümlich für mich hielt.«
Er schaute wiederholt auf die Uhr und runzelte die Stirn. »Wie gesagt, das Dokument ist eine Fälschung. Wir wissen um ihre Pläne und haben bereits Maßnahmen zu deren Zerschlagung eingeleitet. Wir sind nur noch nicht aktiv geworden, weil wir weiterhin hoffen, eine Verbindung zu den Drahtziehern zu bekommen.«
»Was planen sie denn?«, fragte ich.
Sethos zögerte kurz. »Was soll’s, ich kann es euch ebenso gut sagen. Sie haben es auf Feisal von Irak abgesehen. Er soll gestürzt und durch Sayid Talib ersetzt werden, der eine Republik will – so behauptet er jedenfalls – und das Ende des britischen Mandats. Der britische Hochkommissar soll in die Wüste geschickt werden, genau wie unsere Freundin Miss Bell. Sie gibt sich der Illusion hin, dass die Iraker sie verehren, aber etliche lehnen den Einfluss einer Frau ab, einer Ausländerin und Ketzerin an der Monarchie. Sie halten nicht viel von Feisal, und daran ist die Lady nicht ganz unbeteiligt. Jedes Mal, wenn sie in den Palast marschiert, als wäre er ihr Eigentum, verliert er an Sympathie.«
Er nahm einen weiteren, tiefen Schluck. »So, jetzt wisst ihr alles«, schloss er. »Den Plan, den ganzen Plan, und nichts als den Plan.«
Aus Manuskript H
Das Warten war die Hölle. Er schlenderte ziellos durch den Raum, spannte methodisch die schmerzenden Muskelgruppen an und kämpfte gegen den sinnlosen Wunsch, irgendetwas zu unternehmen, um wieder zu seiner Frau zu kommen. Nach Stunden, wie ihm schien, vernahm er ein kratzendes Geräusch. Er sprintete zur Tür.
»David?«, hauchte er ins Schlüsselloch.
»Ja.«
»Wie klappt es denn?«
»Lass mir noch ein paar Minuten.«
Schlösser auszubauen hatten sie im Krieg gelernt. Allerdings hatte David nicht das richtige Werkzeug, zudem war es längst nicht so einfach wie in der einschlägigen Kriminalliteratur beschrieben. Ramses zog sein Messer unter der Matratze hervor, steckte es in den Gürtel und huschte wieder zur Tür. Das Kratzen und Knirschen ging noch eine Weile weiter, bis er es nicht mehr aushielt.
»Ich mach es mit Gewalt«, raunte er. »Los, geh von der Tür weg.«
»Eine Minute noch«, murmelte David seelenruhig. »Fass dich in Geduld, Junge. Das ist dein größtes Manko. Ich denke … ich hab’s.«
Die Tür sprang auf, und zum ersten Mal sah er den Gang, durch den sie ihn geschleift hatten. Spinnweben hingen von der Decke, eine dicke, mit Fußspuren durchsetzte Staubschicht bedeckte den Boden, auf dem lang hingestreckt ein mit in einer zerschlissenen Galabija bekleideter Mann lag.
»Ich musste ihn ausschalten«, sagte David leise. »Denk nicht weiter darüber nach, Ramses. Los komm, wir haben nicht viel Zeit. An der Eingangstür steht noch einer. Mir nach.«
David las in ihm wie in einem offenen Buch. Und er hatte wie üblich Recht.
In diesem Teil des Hauses waren die Dienstbotenquartiere untergebracht. Eine Tür am hinteren Ende des Ganges führte in den Salon, der im Stil des Fin de Siècle gehalten war. Abblätternde Stuckreliefe rahmten blinde Spiegel und die Reste bemalter Deckenpaneele. Abbröckelnder Mörtel knirschte unter ihren Schritten. Bleiches Mondlicht sickerte durch die Ritzen der Fensterläden. »Was ist mit den anderen
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