Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
wohl keine Gehirnerschütterung. Sieht aus, als hätte ihm jemand mit einem Knüppel aufgelauert und ein zweiter mit einem Messer.«
»Also, was ist denn genau passiert?«, wollte der Professor über das Bett gebeugt wissen.
»Augenblick noch, Vater.« Nefret warf Tabletten in ein Glas Wasser und hielt es an Nadjis Lippen. »Trinken Sie das, es hilft gegen die Schmerzen, wenn ich die Wunden desinfiziere.«
»Ich helfe dir«, erbot sich ihre Schwiegermutter eifrig.
»Nicht nötig, Mutter.«
Mit einem erleichterten Seufzer ließ Nadji den Kopf auf die Kissen sinken. Offenbar hatte er noch mehr Manschetten vor der Sitt Hakim als vor ihrem resoluten Gatten.
»Professor Emerson, ich berichte das Wenige, was ich weiß. Ich war in Luxor, in einem Kaffeehaus, und als ich zum Kai zurückschlenderte, griffen mich zwei Männer an. Keine Ahnung, wer sie waren, ihre Gesichter waren vermummt. Ich hielt sie für ganz gewöhnliche Diebe. Zu Anfang leistete ich Gegenwehr, aber das war aussichtslos, und auf meine Hilferufe reagierte keiner. Also gut, dachte ich, wenn die Burschen mein Geld wollen, sollen sie es haben. Dann ging ich zu Boden. Sie traten mich und rissen an meinen Sachen, und ich hatte Visionen vom Paradies und glaubte schon, ich würde sterben. Dann …« Er runzelte die Stirn. »Dann meinte ich, ich hörte von weither eine Stimme sagen: ›Idioten. Ein Mann kann sich vielleicht größer machen, aber doch nicht kleiner.‹ Das muss ich wohl geträumt haben, denn die Worte ergeben keinen Sinn.«
Für ihn vielleicht nicht. Ramses blickte zu seinem Onkel, der sich schweigend in eine Ecke verkrümelt hatte.
»Und was passierte dann?«, bohrte Emerson.
»Ich bin ohnmächtig geworden«, sagte Nadji entwaffnend offen. »Als ich wieder zu mir kam, waren sie weg. Da hab ich mich dann auf den Heimweg gemacht. Verzeihen Sie, Mr Vandergelt, dass ich so spät dran war.«
Cyrus klopfte ihm auf die Schulter. »War nicht Ihre Schuld, mein Junge. Wie fühlen Sie sich?«
»Erschöpft.« Er zuckte kaum merklich zusammen, als Nefret ein Antiseptikum auf die Kopfverletzung auftupfte.
»Das Schlimmste ist jetzt vorbei«, tröstete sie ihn. »Sie hätten Ihren Turban tragen sollen.«
»Den haben sie mir heruntergerissen.« Nadji jaulte auf. »Und mich an den Haaren gezogen. Das tat höllisch weh.«
An jenem Abend hatte er wahrscheinlich mehr geredet als in der ganzen Zeit, die sie ihn mittlerweile kannten, überlegte Ramses. Er hatte zusammenhängend berichtet … nahezu eloquent. Als hätte er sich die Geschichte vorher zurechtgelegt.
»Ruhen Sie sich jetzt aus.« Nefret zog ihrem Patienten das Laken bis zum Kinn hoch. »Ich lass Ihnen ein paar Tabletten hier. Für morgen früh, falls Sie Schmerzen haben.«
»Wie geht es ihm? Was hatte er denn?« Suzanne wartete vor seiner Zimmertür. Sie hatte sich bislang diskret zurückgehalten, und Ramses konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nur aus Höflichkeit fragte. Sie schilderten ihr kurz, dass Nadji überfallen worden war und das Ganze für ihn noch glimpflich ausgegangen sei.
»Kann ich mich irgendwie nützlich machen?«, wandte sie sich mit einem bezaubernden Lächeln an Cyrus.
Ramses stellte sich Nadjis verdutztes Gesicht vor, wenn das Mädchen an seinem Bett Wache hielte, und versicherte ihr rasch, dass ihre Hilfe nicht erforderlich sei.
Cyrus’ Einladung zu einem Drink lehnten sie höflich ab. Er schien versessen darauf, die abendlichen Vorkommnisse zu diskutieren. Aber nicht im Beisein von Katherine und Suzanne, dachte Ramses bei sich. Dem jungen Emerson war klar, dass sie Vandergelt über kurz oder lang ins Vertrauen ziehen müssten. Seine Mutter hatte ihm bereits brühwarm erzählt, wie Cyrus sich über Sethos geäußert hatte: »Immer wenn der Bursche auftaucht, gibt es garantiert Probleme.« Damit sprach er Ramses aus der Seele. Bislang hatten sie ihren alten Freund noch nicht eingeweiht, gleichwohl war der Amerikaner ein intelligenter Bursche. Bestimmt hatte er die enthüllende Bemerkung mitbekommen, die Nadji von seinen Angreifern aufgeschnappt hatte. Das ließ den Schluss zu, dass sie den jungen Mann mit jemand anderem verwechselt hatten. Und nach seiner wechselvollen Vergangenheit zu urteilen, war Sethos derjenige welcher.
Um sich unterhalten zu können, ritten sie im Schritttempo. Sethos schloss zu seinem Bruder auf.
»Meinen Glückwunsch«, trompetete Emerson, sobald er ihn bemerkte. »Wieder einmal hat ein Unschuldiger für dich die Prügel
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