Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
einkassiert.«
Sethos stritt das erst gar nicht ab. »Sie sind mir auf den Fersen. Wieso haben sie sich ausgerechnet auf ihn gestürzt?«
»Weil es nicht einmal dir glücken würde, dich in eine reizende kleine Französin zu verwandeln«, meinte Nefret spitz.
»Käme also nur noch Anthony Bissinghurst infrage, mmh?«
»Nicht unbedingt«, knirschte Ramses. Letztlich kümmerte es ihn nicht die Bohne, ob sein Onkel nervös war. »Würde mich interessieren, ob in letzter Zeit auch Touristen überfallen wurden.«
»Würde mich nicht überraschen«, meinte Sethos milde erleichtert. »Immerhin könnte es jeder sein, auch ein Urlauber oder so.«
»Bis Margaret hier aufkreuzt«, versetzte Ramses. »Ich kann mir nicht vorstellen, was sie so lange aufhält.«
»Vielleicht war sie nicht in England, als das Gerücht über den Grabfund aufkam«, meinte Nefret.
»Inzwischen weiß sie es bestimmt«, tippte Emerson. »Mertons Artikel stand in der Times vom Ersten. Wenn sie den nächsten Dampfer genommen hat, kann sie jeden Tag eintreffen.«
»Hmmm«, sagte seine Frau.
»Was soll das jetzt heißen?«, erkundigte sich der Professor.
»Das heißt, dass wir uns entsprechend um sie kümmern müssen. Tja, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.«
Und der Tag war noch nicht vorbei. Daoud und Selim erwarteten sie bereits auf der Veranda. Ersterer war aschgrau im Gesicht.
»Was habt ihr denn, ihr zwei?«, wollte Emerson wissen. Normalerweise konnte Daoud nämlich so leicht nichts aus der Fassung bringen.
»Schlechte Neuigkeiten, Vater der Flüche.«
»Von dem Überfall auf Nadji haben wir schon gehört. Wir kommen eben vom Schloss«, beschwichtigte Ramses. »Er hat nicht viel abbekommen.«
Daoud schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht, Ramses. Es ist schlimmer, viel schlimmer.«
»Du übertreibst«, erregte sich Selim. »Es war ein dummer Zufall, völlig belanglos –«
»Um Gottes willen«, brüllte der Vater der Flüche. »Macht es doch nicht so spannend!«
»Der goldene Vogel«, orakelte Daoud. »Er wurde von einer Kobra verschlungen, der Beschützerin des Pharao. Das bedeutet den sicheren Tod für alle, die sein Grab betreten.«
5. Kapitel
Aus Manuskript H (Fortsetzung)
Lord Carnarvon und seine Tochter reisten am vierten Dezember nach Kairo, und von dort mit dem Schiff nach England. Ramses war an dem fraglichen Tag zufällig in Luxor und genoss das Privileg, die Entourage mitzuerleben, die mit fürstlichem Pomp durch die Straßen zog, umringt von Bewunderern und begleitet von der Presse. Carnarvon würdigte ihn keines Blickes. Vielleicht hat er mich auch gar nicht wahrgenommen, sinnierte Ramses gnädig. Carter sah ihn jedenfalls. Er hob halbherzig eine Hand zum Gruß, bevor er weiter stapfte.
Zwei Tage darauf folgte Carter seinem Mäzen nach Kairo. Laut Daoud war er untröstlich wegen seines toten Kanarienvogels, wollte aber das grässliche Omen nicht wahrhaben, das ein sensibler Mensch wie Daoud damit verband.
»Pah«, schnaubte Emerson. »Es war doch nur ein Vogel, die fressen Kobras nun mal gern.«
»Aber die erste Prophezeiung des goldenen Vogels hat auch gestimmt«, beharrte Daoud. »Das goldene Grab wurde entdeckt. Und ist nicht die Kobra das Symbol des Monarchen?«
»Damit hat er dich aber eiskalt erwischt, Vater«, grinste Ramses.
»Ihr solltet Gott danken, dass nicht ihr diejenigen wart, die das Grab fanden«, schloss Daoud todernst. Er verabschiedete sich eilends von ihnen. Es war die Zeit des Abendgebets. Ramses tippte darauf, dass er die gesamte Familie Emerson in seine Gebete mit einschließen würde.
»Wir hätten ihm besser gar nicht erzählt, dass wir in dem verfluchten – verzeiht – Grab waren«, seufzte er.
»Nicht nur im Grab, sondern auch in der eigentlichen Grabkammer«, bemerkte seine Mutter treffend. »Unterschätz Daoud nicht. Ich wette, er weiß es. Und jetzt hofft er inständig, dass wir nicht lange genug dort waren, um den königlichen Zorn auf unsere Häupter zu laden.«
»Und wieso hat er dann mit keinem Wort darauf angespielt?«, erkundigte sich Nefret. »Passt irgendwie nicht zu Daoud, dass er sich dermaßen bedeckt hält.«
»Unterschätz ihn nicht«, wiederholte ihre Schwiegermutter. »Daoud kann sehr wohl etwas für sich behalten, wenn er es für angeraten hält.«
An dem besagten Nachmittag bekamen sie Besuch von Herbert Winlock und George Barton. Freunde und Bekannte waren immer willkommen zum Tee, und die Crewmitglieder vom Metropolitan Museum hatten sich schon
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